Tad Williams, Shadowmarch 1 – 4
Bd. 1 – Die Grenze
Klett-Cotta 3-608-93717-X
Dass der Lieblingsautor mit dieser Saga nach Otherland >>zu seinen Wurzeln zurückkehrte<< hat mich 2005 begeistert. Doch nun befanden wir uns nicht mehr in Osten Ard, sondern auf der Südlandfeste. Dank Williams auch hier wieder dichten, bildreichen Sprache lernte ich schnell, mich auch dort wohl zu fühlen.
Für die Geschichte des Kampfes um die Schattengrenze, die das Land Shadowmarch in zwei Teile teilt, benutzt Tad Williams die altbekannten Sujets der High Fantasy. Und doch ist die Handlung spannend, sehr sogar. Jeder Protagonist, sei er/sie/es Königskind, Elb jedweder Schattierung, Traumgeschöpf oder Gott, kleinwüchsiger Funderling und Tunnelbauer oder nur ein rattenreitender Dachling, besitzt Licht, Schatten, Untiefen und Geheimnis, das heißt, eine ausgearbeitete, klar konturierte Persönlichkeit.
Hier ein paar Schlaglichter auf die Handlungsebenen:
deren poetischste natürlich der Elbenstrang ist: in Qul-na-Quar, jenseits der Nebelmauer, rüstet sich Yasammez, die Mächtige, zum Krieg gegen die Menschheit (genannt die Sonnenkinder) an sich. Doch der blinde König der Elben und seine schlafende Königin scheinen durchaus eigene Ziele zu verfolgen. Sie setzten ein ca. sechsjähriges Menschenkind aus.
Chert und Opalia Blauquarz, ebenso liebenswertes wie kinderloses älteres Funderlingspaar, adoptieren diesen Jungen. Flint, wie sie ihn nennen, hört Stimmen in der Gruft der Menschenkönige (Südlandfeste!), findet Freunde unter den bis dato noch als legendär geltenden Dachlingen und sorgt auch sonst für reichlich Wirbel.
Briony und Barrick sind ein jugendliches Zwillingspaar aus dem Hause Eddon (was heißt: mit jeder Menge Vorfahren just in jener Gruft, der eine oder andere berüchtigt durch erblichen Wahnsinn). Der regierende Monarch der Südmark, ihr Vater, sitzt seit vielen Monaten gefangen, das Lösegeld kann kaum zusammengekratzt werden, der Hofstaat zeigt sich als unterwandert von Spionen aus Xis. Wirklich ein gutes Timing der Elben – für ihre Kriegserklärung nach drei Jahrhunderten des Schweigens.
Chaven, der Hofastrologe und Arzt, wird vom Bösen an der Nase herumgeführt
Ferras Vansen, der Gardehauptmann aus dem Volk, ist unsterblich in Prinzessin Briony verliebt. Leider jedoch sind die Eddonzwillinge nur an die Hoftöne gewöhnt. Das ehrliche Verhalten des wackeren Mannes irritiert. (>>Der kann doch nur auf eine Beförderung aus sein?<<) Briony verschafft ihm ein Himmelfahrtskommando.
Wie schon der Name sagt, übt sich die (in jüngster Zeit stark expandierende) Dynastie der Gottkönige von Xis in Egomanie. Der Autarch Sulepsis ist noch recht neu auf dem Falkenthron. Wie die Tradition gebietet, wurde seine Brüder alle hingerichtet; lediglich den jüngsten hat er sich in Bronze gießen lassen, unfeinerweise bei lebendigem Leib. Für sich selbst lechzt der angebliche Liebling des angeblich großen Gottes Nushash nunmehr nach Unsterblichkeit. Dazu sollen ihm jede Menge Drogen und eine weitere Ehefrau verhelfen.
Und das ist Quinnitan, jungfräuliche Tochter des Cheshret vom Dritten Tempel. >>Das alte Blut ist stark<<, sagt Seherin Mudry vom Bienenorakel. Und: >>Flieh, wenn sich der Käfig öffnet.<<
Bd. 2 – Das Spiel (2007)
Klett-Cotta 3-608-93718-3
Bd. 3 – Die Dämmerung (2010)
Klett-Cotta 3-608-93719-0
Drei Jahre sind kein Pappenstiel und so las ich, in froher Erwartung des 3. Teils, Band 2 noch einmal. Dieses große Vergnügen wurde natürlich durch die Tatsache, dass ich ein Fan „solchen Zeugs“ war und bin und damals auch des Autors, keinesfalls gemindert. Wenn ich trotzdem nur wenig über den Inhalt berichtete, war es (natürlich! nur!), um potentiellen Lesern die Spannung nicht zu nehmen.
Wie es sich gehört, wird im 2. Band deutlich, worauf der Konflikt überhaupt beruht. Das mystische Zeitalter der Götter entzweit Sonnländer und Zwielichtler. Wobei sich die Menschen naturgemäß kaum noch einer Schuld bewusst sind, während die langlebigen Elben immer noch dieselben alten Wunden lecken. Die Götterwelt der Shadowmarch-Saga ist nicht minder lüstern wie Zeus und Co., in ihrer Unbeherrschtheit erinnern diese Wesen allerdings an die Titanen. Ähnlich wie bei den alten Griechen macht sich ein Gott zweiter Generation auf, die Alten zu besiegen, weil sie es gar so wüst treiben.
Der Autor beschrieb recht kurzweilig, wie unterschiedlich dieses Geschehen bei den verschiedenen Völkern überliefert wurde. Selbst innerhalb der menschlichen Religionen ist man sich durchaus nicht einig, wer die Guten und wer die Bösen waren. War die >>heilige Taube<< Zoria wirklich so süß und unschuldig, wie der Trigonatsglaube es will? Ja, und dann sind auch noch immer die Leute, die gar nicht an die Götter glauben. Auch in der Südmarksburg würde man gerne Elben als verschwundene Märchenwesen betrachten: hätten siegreiche Heere derselben nicht gerade sengend und plündernd das gesamte Umland erobert.
Yasammez, >>Stachelschweinfrau<<, Göttertochter und finsterste der Elbenfürsten, hat noch üblere Laune als die letzten 300 Jahre. Sie wird von ihrem König gezwungen, sich auf den >>Pakt des Spiegelglases<< einzulassen und die Kämpfe vor dem Endsieg (Vernichtung allen menschlichen Lebens in der Burg) einzustellen.
Verras Vansen, Prinz Barrick und Gyir, der Verhüllte, kämpfen sich durch die Lande unter dem Zwielicht, um das Spiegelglas ins >>Haus des Volkes<< zu bringen. Dabei handelt es sich natürlich nicht um ein Berliner Bauwerk, sondern um den vormaligen Palast des Mondherrn, heute Sitz dahin schwindender Elbenvölker.
Hier noch einmal Lobpreis dem Autor: seine Elben haben nicht das geringste tolkiensche Flair, sind revolutionär andersartig, vielfältig, originell. Nur bei den Drags oder Funderlingen unter dem Berg hatte ich so manches Mal die Befürchtung, sie könnten zu nahe bei den Zwergen des Altmeisters gelagert haben. Die Hürden wurden jedoch stets umschifft, weil die genannten kleinen Leutchen wirklich ganz anders aussehen – wie Hobbits ohne haarige Füße. Doch der Fan verzeiht so etwas gerne. Steinhauer Chert nebst dominanter Gattin Opalia sind einfach zu schnurrig und soo tapfer.
Die liebenswerten Dachlinge haben leider in Band 2 den letzten großen Auftritt, um in Band 3 nicht mehr vorzukommen. Ich erinnere mich gut, dass sie die Phantasie des Autors auch schon auf dem Hochhorst, rings um Engelsturm und Drachenbeinthron, bevölkert haben.
Und so fand ich in den Bänden 2 und 3 der Schattenmark schnell neue Lieblinge: den uralten, räudigen, Hochsprache plappernden, aasfressenden, weisen Raben Skurn mit seinen unappetitlichen Tischsitten.
Zweite im Bunde ist Anamesiya Kettelsmit, Mutter des miserablen Barden und ungeschickt Liebenden Matty. Herrlich, die beiden! Zitat: >>So undankbar, dieses Mädchen!<< verkündete seine Mutter. >>Ich bringe ihr gutes Essen vom Markt, und sie rümpft nur die Nase. Steht nicht geschrieben, `den Armen soll grobe Wurst zuteil werden?`<< Großer Trost, hätte er beinahe richtiggestellt – doch wozu? Seiner Mutter etwas erklären zu wollen, war, wie mit einer Statue der Königin Ealga im Burggraben zu reden. Einer äußerst gesprächigen Statue allerdings.<<
Und wieder wartete ich auf den vierten Band! Dabei war ich mir noch vor Beginn des letzten Kapitels Bd. 3 völlig sicher, dass der Autor gleich zum Showdown ansetzt. Das gesamte Buch so spannend: Williams versammelt gnadenlos die Protagonisten rings um die Südmark-Feste. Nicht minder als Pinnimon Vash und König Olin lobesam, war ich gespannt, wie und wann der größenwahnsinnige Sulepsis auf Normal-Null zurückgestutzt wird! Verras Vansen und Baronin Merolanna setzen Yasammez zu. Zu den drei Kindern aus göttlicher Blutlinie ist ja jetzt noch Flint hinzugekommen. Auch vom Cousin des Königshauses und Abkömmling des greisen, doch immer noch undurchsichtigen Avin Brone erwartete sich die geneigte Leserin noch so einiges.
Das Herz
Klett-Cotta 3-608-93720-6, 878 S.
>>Es gibt wohl nichts Schwierigeres, als einen vierten Band zu besprechen<<, seufzte ich 2011 einmal mehr. >>Alle Handlungsebenen laufen zusammen, die finalen Schlachten werden geschlagen. Wer zuviel davon ausplaudert, nimmt dem Leser die Spannung – unverzeihlich.<<
Doch das Warten hatte sich gelohnt: Tad Williams lief auch in diesem Finale zu großer Form auf. Wunderbar selbstironische Szenen wechselten sich ab mit Schlachtengedränge. Für schwerste Probleme wurden Lösungen von bestrickender, wenn auch wehmütiger Schönheit gefunden.
Von ein paar sattsam bekannten Soziopathen abgesehen, – hier nannte ich den Thronräuber Hendon Tolly, >>König der Könige<< Sulepsis und natürlich die Gottheit Zosim – ging es bei den Auseinandersetzungen um Allzumenschliches, selbst bei den Elben. Die keinesfalls neue Idee das Elben- und Menschengeschlechter einer gemeinsamen Wurzel entstammen, wurde von Williams hier noch einmal kongenial umgesetzt.
Dann nahm ich wieder ein Zitat zur Hilfe (S. 311): >>Aber Südmark war etwas Lebendiges, wurde ihm erstmals klar. Es waren nicht die Qar-Stimmen, die es ihm sagten, weil für die Feuerblumenphantome alles auf der Welt so lebendig oder so tot war, wie alles andere – >>tot oder „lebendig<< schien für sie eine weitgehend bedeutungslose Unterscheidung. Barrick wusste nicht, woher er es plötzlich wusste, und auch nicht, warum es sich so wichtig anfühlte, aber Südmark war in der Tat lebendig, und zwar auf eine Art wie kaum etwas anderes. Es war lebendig, weil es voller Türen und Tore und Pforten war und es war voller Türen und Tore und Pforten, weil es auf eigenartige, ja, einzigartige Weise lebendig war. Die Götter, die Qar und auch die erst spät gekommenen Menschen hatten diesen Ort nicht zum Zentrum so vieler Geschehnisse gemacht. Sie alle waren hierher gekommen, weil der Ort selbst so vital war wie ein schlagendes Herz.<<
Mehr war dazu nicht mehr zu sagen. Wobei „Südmark“ auch ganz leicht durch >>Fantasy<< ersetzt werden könnte. Noch heute finde ich, dass die „Shadowmarch“-Reihe zu den Büchern gehört, die jeder Träumer besitzen sollte, zum >>Immer-Wieder-Lesen<<.