William Gibson
PERIPHERIE
The Peripheral, 2014
Tropen, Klett-Cotta, Stuttgart, 2016, 06/2023, 615 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-608-50225-1
Offensichtlich hatte ich 2016 kein Interesse, den neuen William Gibson zu lesen. Eine mögliche Erklärung dazu wäre, dass ich zu dieser Zeit mit meinen eigenen Werken (Elektron-Saga) überaus beschäftigt war. Eine andere besteht darin, dass der 1948 geborene Autor seit 1984 sein Neuromancer-Ding durchzieht. Wie weiland die Dinosaurier bleibt er sich selbst treu, was mich leider, ich muss es gestehen, kaum noch aus dem Lesesessel haut.
Nicht desto trotz ist sein Lebenswerk verdienstvoll, hat viele Leute beflügelt. Von daher wurde es 2019 ganz zu Recht mit dem Damon Knight Memorial Grand Master Award gewürdigt. Hoffentlich fand diese Trophäe noch Platz auf dem Preise-Regal.
Angesichts der Neuauflage ergriff ich die Gelegenheit, „Peripherie“ zu ordern und nun endlich auch zu lesen. Es scheint daran großes Interesse zu bestehen, denn irgendjemand mopste das erste Exemplar aus der Post.
Die Lektüre entpuppte sich als solide Unterhaltung, räume ich ein. Einziger Wermutstropfen bildet das letzte Kapitel. Hier wandert mir der Autor allzu sehr auf den Spuren von Jane Austen. Also kein offenes Ende, wie ich leider spoilern muss. Ansonsten von allem ein bisschen, recht vergnüglich, so man Splatter in Maßen abkann.
Nun also hat William Gibson das Multiversum für sich entdeckt (ein Konstrukt, das ich persönlich als Buddhistin verabscheue, aber na ja, ist ja nur Lesestoff).
Die junge, taffe Flynne lebt in einem Trailerpark in einem Amerika, welches recht kaputt erscheint. Irgendeiner von den endlosen Kriegen dieses Kontinents verstümmelte ihren Freund Connor und verwandelte Bruder Burton in ein seelisches Wrack.
Wilf wiederum existiert auf der anderen Seite des „Jackpots“ – zeitlich um 70-80 Jahre versetzt – in einem durch und durch aristokratisch erscheinendem London. Eine Folge verschiedenster Ereignisse rottete zwischenzeitlich große Teile der Menschheit aus. Gleichzeitig wurden hierdurch eine Menge Probleme des Planeten gelöst, aber hey – den Überlebenden ist es recht langweilig.
Irgenwie (hierzu gibt es kein Technobabbel, man muss es einfach hin nehmen) entwickelt Wilf eine Möglichkeit, Daten durch die Zeit zu schicken. Und diese Zeit ist nicht die Vergangenheit seiner Realitätsebene, sondern ein sogenannter „Stump“, ein möglicher Arm davon. Und offensichtlich gelingt es ihm später auch, komplette Seelen zu übermitteln. Diese manifestieren sich dann in den titelgebenden „Peripherals“. In der menschenarmen Welt der Zukunft hat man sich angewöhnt, solche Androiden für alle möglichen (Sex) und unmöglichen Zwecke zu verwenden …
Hardcore-Fantasy-Leser (was ich bin) sollten sich hier leicht tun. Und es ist wahrscheinlich William Gibsons größte Kunst, dass die Geschichte trotzdem hinreichend funktioniert.
Nebenbei liefert sie so gute Unterhaltung, dass sie als Serie verfilmt wurde. Sollte mich diese nix zusätzlich kosten (prime), sehe ich sie mir auf jeden Fall an – denn William Gibson versteht sich auf Bilder.