2. Ara, die Spinnenartigen
Noch immer ist unsere Galaxis – wir nennen sie Wintergarten – in weiten Teilen unerforscht. Vielleicht waren die seltsamen Wesen namens Tiar einst auf einem guten Weg dazu. Immerhin begründeten sie unser erstes Parlament. Doch irgendwann, vor 500 Jahren Raumzeit, zogen sie sich gänzlich zurück und – zumindest offiziell – hörte man nichts mehr von ihnen.
Sarn, einziger Trabant der blauen Sonne Lika, wurde plötzlich von Indigenen regiert und das nicht einmal schlecht. In einem hiervon weit entfernten Sektor verfügte die gelbe Sonne Aude plötzlich über ein Hyagansis. Und das bedeutete freien Zugang zur galaktischen Zivilisation. Doch eigentlich galt diese Technik als mit dem Imperium untergegangen.
Von den 10 Gesteinshaufen, die Aude an sich gebunden hatte, erlaubte nur Gmtxt menschliches Leben. Vielleicht auch unmenschliches, denn gerade erst begann sich hier eine Eiszeit zurückzubilden. Bislang war die Welt nur über ein von den Tiar kontrolliertes Transmittertor zu erreichen gewesen. Darüber hinaus war sie übel beleumundet, denn das Imperium hatte sie als Gefängnis genutzt.
Nun bekam sie einen neuen Namen: Laverna. In den schlecht dokumentierten Geschehnissen dieser Zeit büßte sie ihre Monde „Hölle“ und „Paradies“ ein. Im Gegenzug öffnete sich ein direkter Zugang zu den so genannten Sternenwegen. Hierbei handelt es sich um höhere Physik, am einfachsten erklärt mit einem Netz von transdimensionalen Abkürzungen zwischen einzelnen Sonnen.
Da sich der neue Abzweig als verkehrstechnisch ungewöhnlich praktisch herausstellte, kam das Parlament der Welten überein, Sitz auf der dortigen Insel Altherz einzunehmen. Denn zeitgleich mit „Hölle“ und „Paradies“ war der alte Versammlungsort des Parlamentes – inmitten eines Neutronensterns – buchstäblich im Nichts verschwunden, ebenso wie die geheimnisvollen Hüter.
Vielleicht hätte ich dies alles gar nicht erwähnt, wenn es nicht auf Laverna begonnen hätte.
Botschafter aus dem Dunkel
Die ersten Zeichen tauchten in den Tiefen des Ozeans auf – feine, kunstvolle Muster, eingewebt in die Seide unbekannter Wasserlebewesen, als ob sie Botschaften trügen, die niemand verstand. Später fanden Taucher ähnliche Symbole auf uralten, lebenden Korallen, deren Strukturen sich wie geflochtene Runen anfühlten. Wissenschaftler standen vor einem Rätsel: Wer hinterließ diese Zeichen? Und noch wichtiger – was wollten sie sagen?
Dann kam der Vorfall in der Forschungsstation Rhaeny-6, tief in der Nähe des Königinnengrabens. Ein U-Boot verschwand spurlos. Wochen später tauchte es wieder auf, unbeschädigt, doch von der Crew fehlte jede Spur – bis auf eine seidenartige Struktur, die im Inneren der Kabine hing. Sie schien harmlos, bis ein Forscher sie zufällig mit den Fingern berührte – und erkannte, dass sie auf Druck reagierte. Je nach Bewegung der Hand spürte man neue Muster, als würde sich die Botschaft erst in den Fingerspitzen entfalten.
Doch wie übersetzt man eine Sprache, die nicht nur gelesen, sondern erfühlt wird? Jahrzehnte vergingen, während Linguisten, Kryptografen und KIs an der Entzifferung arbeiteten – ohne Erfolg. Missverständnisse häuften sich. Automatische Verteidigungssysteme zerstörten fremde Gewebeformationen, die in den Tiefen schwebten, und Expeditionen verschwanden spurlos. Die Menschen hielten die Ara für eine Bedrohung, und die Ara wiederum verstanden die Zerstörung ihrer Nachrichten als Ablehnung oder Kriegserklärung.
Das erste Treffen
Als die Menschheit schließlich ihre ersten Raumschiffe tief in den interstellaren Raum entsandte, änderte sich alles. HD 28123b, ein dunkler, nebelverhüllter Planet in einem abgelegenen System, war der Schlüssel. Dort, zwischen kilometerhohen Pilzformationen und leuchtenden Wurzelsystemen, fanden die Forscher endlich eine Stadt der Ara – ein lebendes Netz aus organischen Türmen, deren Wände von seidig-glatten Oberflächen bedeckt waren, die sich bei Berührung bewegten.
Zum ersten Mal begegneten sich Mensch und Ara von Angesicht zu Gesicht – oder besser gesagt: von acht Augen zu zwei. Die Anspannung war groß, vor allem nach den vorherigen Vorfällen. Doch diesmal war ein Artefakt der Schlüssel: Ein Mensch zeigte eine Seidenstruktur, die die Ara hinterlassen hatten, und berührte sie mit bloßen Händen – ein ungeschickter, aber entschlossener Versuch, in ihrer Sprache zu „lesen“.
Und dann trat der Botschafter hervor.
Er maß fast einen Meter in der Körperlänge, und seine acht filigran geschwungenen Beine bewegten sich mit hypnotischer Eleganz. Sein Exoskelett schimmerte in Blau und Violett, als seine vordersten Gliedmaßen sanft über eine gespannte Netzstruktur fuhren – die erste Antwort, die die Menschen je in Echtzeit von einem Ara empfingen.
Es war keine Sprache aus Lauten oder Zeichen – sondern eine Botschaft aus Spannung und Berührung. Die feinen Fasern gaben genau dosierten Widerstand, formten winzige Erhebungen, die nur fühlbar, nicht sichtbar waren.
Dann legte der Botschafter ein Gewebe aus feinster, schimmernder Seide vor den Menschen aus, in das neue Muster eingewebt waren. Dies war der Moment des Erstkontakts – nicht mit Waffen oder Drohungen, sondern mit einem Gewebe aus Wissen und Fingerspitzengefühl.
Doch er war nicht einfach ein Ara.
Er war erschaffen worden, um diesen Moment zu ermöglichen.
Der Botschafter – Ein Wesen zwischen den Welten
Die Menschen wussten es zunächst nicht, aber dieser Ara war kein Individuum im klassischen Sinne. Er war ein Brückenwesen, speziell gezüchtet für den Erstkontakt.
Die Ara lebten in den dichten Atmosphären von Gasriesen, wo der Druck hoch, die Schwerkraft unerbittlich und die Luft voller exotischer Gase war. Eine Spezies, die zwischen Stürmen und Wolken lebte, konnte nicht einfach auf einem festen Planeten atmen. Die normalen Ara würden hier sterben, zerquetscht von der falschen Mischung aus Gasen, vergiftet durch den Sauerstoff, für den sie nie gemacht waren.
Doch der Botschafter war anders.
- Sein Exoskelett war verstärkt, aber auch flexibel, durchzogen von Membranen, die den Druck regulieren konnten.
- Seine Lungen – oder das, was den Ara als Atmungsorgan diente – waren symbiotische Kammern, die Gase filterten, um ihm das Überleben zu ermöglichen.
- Seine Gliedmaßen waren stabiler, seine Bewegungen an die geringere Schwerkraft angepasst.
- Er war nicht für die Ewigkeit gemacht. Langsam, unaufhaltsam, würde sein Körper sich abbauen, weil er außerhalb seines natürlichen Ökosystems nicht bestehen konnte.
Er wusste es.
Und für seine Artgenossen war das keine Tragödie – es war Teil des großen Musters. Er war ein Wesen geschaffen, um diesen Kontakt zu ermöglichen. Seine Existenz war eine Botschaft. Sein Körper war ein lebendiges Schriftzeichen in der Geschichte seiner Spezies.
Als er das gespannte Netz vor sich ausbreitete und eine neue Struktur webte, wurde den Menschen etwas klar:
Sie lasen nicht nur eine Sprache.
Sie berührten ein Wesen, das selbst eine Geschichte war.
Die Heimat der Ara
Erst jetzt verstanden die Menschen, warum es so lange dauerte, die Ara zu finden. Sie bauten keine Städte aus Stein, sondern lebende Strukturen, die durch Berührung „gelesen“ werden konnten. Ihre gesamte Zivilisation beruhte auf Fühl- und Spannungsmustern, nicht auf visuellem oder akustischem Austausch.
Und nun hatten sie einen Vertreter auf einem fremden Planeten – ein Geschöpf, das niemals zurückkehren würde.
War er ein Held? Ein Opfer? Ein Werkzeug?
Oder einfach das, was sein Volk von ihm erwartete – ein Symbol, eine Brücke, eine lebende Botschaft?
Und wenn eine Spezies, die ihre Geschichte in fühlbare Netze schrieb, auf eine traf, die mit Technologie und Datenbanken arbeitete – was für Welten konnten sie dann gemeinsam erschaffen?