
Kevin Hearne
KERZE UND KRÄHE
Die Chronik des Siegelmagiers 3
Candle & Crow, 2023
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, April 2025, 400 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-608-98210-7
Kevin Hearne (*1970) ist ein US-amerikanischer Fantasy-Autor, der vor allem durch seine humorvolle, popkulturell verspielte und zugleich mythologisch dichte Urban-Fantasy-Reihe „The Iron Druid Chronicles“ internationale Bekanntheit erlangte.
Bevor er hauptberuflich schrieb, arbeitete Hearne viele Jahre als Englischlehrer an verschiedenen High Schools in Arizona und Colorado. Sein beruflicher Hintergrund prägt seine Texte bis heute: Figuren sprechen mit lebendigen, realistischen Stimmen, und seine erzählerische Tonlage wechselt mühelos zwischen ernst, ironisch und selbstbewusst lakonisch.
Hearne ist außerdem ein ausgesprochen nahbarer Autor mit ausgeprägter Community-Nähe; er pflegt engen Kontakt zu seinen Leser:innen über Social Media, signiert fast obsessiv jede Menge Sonderausgaben und liebt Craft-Beer sowie Metall-Anspielungen.
Er veröffentlicht regelmäßig Kurzgeschichten, Novellen und Spin-offs, arbeitet kollaborativ an Projekten wie der „Tales of Pell“-Reihe (mit Delilah S. Dawson) und gilt als Vertreter eines inklusiven, zugänglichen Fantasystils.
Will man Hernes Werk würdigen, kommt man nicht daran vorbei:
Die „Chronik des eisernen Druiden“ (The Iron Druid Chronicles)
Die Reihe ist Hearnes Debüt und gleichzeitig sein Durchbruch. Sie umfasst zehn Romane (inkl. „Scourged“ als Abschlussband) sowie mehrere Novellen und Kurzepisoden. Das Herzstück der Serie bildet:
Protagonist
Atticus O’Sullivan – der letzte noch lebende Druide, äußerlich Mitte zwanzig, tatsächlich über zweitausend Jahre alt. Er führt im modernen Arizona einen okkult unterfütterten Alltag: Teetrinken, Hundeerziehung seines irischen Wolfshundes Oberon, und gelegentliche Probleme mit Göttern und Halbgöttern, die ihn gerne tot sehen würden.
Erzählton & Weltbau
Die Reihe zelebriert ein einzigartiges Mischverhältnis aus:
- schnoddrigem Humor und ironischen Meta-Kommentaren
- akkurater Recherche keltischer Mythologie (Hearne ist hier sehr detailverliebt)
- Einbindung praktisch aller Weltmythologien (nordisch, griechisch, hinduistisch, slawisch etc.)
- überraschend härteren, sehr actionreichen Sequenzen
- ökologischem Unterton und Naturmagie
Trotz der Leichtigkeit im Ton ist der Hintergrund komplex: Die Welt hält ein Füllhorn an Pantheons bereit, die alle real existieren, miteinander interagieren und gelegentlich auch Krieg führen. Hearne bringt diese Vielfalt durch Dialogwitz und Atticus’ pragmatische Überlebensstrategie zum Klingen.
Stil und Besonderheiten
- Oberon, Atticus’ Wolfshund, der über eine magische Bindung sprechen kann, ist ein Publikumsliebling und liefert Running Gags aus der Sicht eines Hundes mit Popkultur-Faible.
- Action in cineastischer Präzision: Hearne schreibt Kampfszenen, die sich wie choreografierte Sequenzen lesen.
- Respektvolle Mythologie-Arbeit: Trotz humorvoller Töne geht er sorgfältig mit Quellen um.
- Fortschreitende Ernsthaftigkeit: Mit jedem Band wird die Serie düsterer, politischer, tragischer. Die göttlichen Konflikte haben langfristige Konsequenzen, Atticus’ Entscheidungen wiegen schwerer.
Einfluss & Rezeption
Die Reihe wurde ein internationaler Bestseller und prägte die Urban-Fantasy-Landschaft der 2010er Jahre. Sie gilt als einer der populären Gegenentwürfe zu Vampir-dominierten UF-Reihen und setzte eher auf Druidentum, Natur, Humor und Mythologiebreite.
Viele Leser:innen schätzen, dass Hearne trotz des Witzes eine überraschend emotionale, manchmal melancholische Gesamtentwicklung erzählt.
In der „Chronik des Siegelmagiers“ bewegt sich der Autor im selben, sorgfältig aufgebauten Universum. Es ist ein durchdachter, in sich stimmiger Kosmos, dessen Mechaniken und Eigenheiten über Jahre hinweg gewachsen sind – ein Ansatz, den ich als Autorin nur allzu gut nachvollziehen kann.
Schließlich arbeite ich seit Februar 2025 mit wachsender Begeisterung am eigenen Spiegelscherben-Universum, das sich auf ähnliche Weise immer weiter verdichtet. Solche Welten zu entwickeln, macht eine geradezu archaische Freude: Jede neue Figur, jedes enthüllte Detail fügt sich in ein größeres Muster ein, das sich organisch weiter entfaltet.
Im Zentrum der „Chronik des Siegelmagiers“ steht Al MacBharrais, ein liebenswertes Original, das Hearne mit einem außergewöhnlichen Talent für Selbstironie und stiller Tragik ausgestattet hat. Seit dem ersten Band kämpft Al mit zwei Flüchen, die sein Leben zugleich verkomplizieren und definieren:
Erstens beginnt jeder Mensch, mit dem er spricht, ihn nach und nach zu hassen – ein schleichendes Gift für jede Beziehung, das ihn zwangsläufig auf die schriftliche Kommunikation seiner magisch aktivierten Siegel zurückwirft. Zweitens sterben alle seine Lehrlinge, bevor sie ihre Ausbildung beenden können. Sieben bislang. Das macht es schwer, jemals in Rente zu gehen – und ja, unter den bisherigen Anwärtern befanden sich durchaus Gestalten, denen man nicht zwingend nachtrauern muss, doch andere wiederum hinterlassen Schmerz und offene Fragen.
Mit „Kerze und Krähe“, dem dritten Band der Reihe, zieht Hearne die Schrauben der Handlung merklich an. Al MacBharrais kommt dem Ursprung seiner Flüche endlich näher, und damit rückt ein erzählerischer Wendepunkt in Reichweite: Aus einem kauzigen Protagonisten, der versucht, seinen Alltag mit Würde zusammenzuhalten, wird eine Figur, die beginnt, die verborgenen Mechanismen hinter seinem Schicksal zu erkennen. Die großen Linien des Weltentwurfs werden klarer, und die persönliche Tragödie des Siegelmagiers öffnet sich zu einem größeren Mysterium hin.
Gleichzeitig öffnet Hearne in diesem Band Türen zu Aspekten der arkanen Welt, die man eigentlich lieber geschlossen ließe. In Ermangelung eines neuen menschlichen Lehrlings hat Al MacBharrais den Hob Buck Foi in seine Dienste genommen – und dessen Spezies teilt mit den Hobbits tatsächlich nur die ersten drei Buchstaben. Was daraus folgt, ist in bester Hearne-Manier frech, herrlich zu lesen und gelegentlich leicht unappetitlich. Denn auch wenn Buck seinem Meister keinerlei echten Schaden zufügen darf, nimmt er es mit der Zumutbarkeit nicht allzu genau: Verwestes Fleisch im Gepäck ist bei ihm eine legitime Logistikoption. Und das ist nur der Anfang – spätestens wenn es um das Liebesleben der Hobs geht, überschreitet Hearne fröhlich jene Grenzen, bei denen man lachend die Stirn runzelt und gleichzeitig froh ist, solche Informationen nicht im eigenen Alltag verarbeiten zu müssen.
Das alles geschieht in einem zunehmend übermütig bevölkerten Universum: Der Siegelmagier trifft auf den eisernen Druiden, gerät zwischen Götter, Feen, Sirenen, Meermänner und Werwölfe – und wir lernen ganz nebenbei, dass Vampire auf Pilze allergisch reagieren. Dieses fröhliche Durcheinander ist kein Chaos, sondern kontrollierte Spielfreude. Man lehnt sich beim Lesen zurück und lässt sich von Hearnes Humor, seiner Lust an der Mythologie und seinem liebevollen Blick auf schräge Figuren tragen.
Fazit:
Kerze und Krähe ist ein energiegeladener, warmherziger und wunderbar schräger dritter Band, der die „Chronik des Siegelmagiers“ perfekt abschließt. Hearne bleibt sich treu – humorvoll, mythensicher und erzählerisch souverän. Wer Urban Fantasy liebt, die ohne Pathos, aber mit Persönlichkeit erzählt wird, findet hier ein Buch, das man mit Vergnügen im Sessel verschlingt.