Tad Williams Special 11/2016 – Otherland 1

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>>Wer davon überzeugt ist, das Ende der Dinge zu wissen, die er gerade erst beginnt, ist entweder außerordentlich weise oder ganz besonders töricht; so oder so ist er aber gewiss ein unglücklicher Mensch, denn er hat dem Wunder ein Messer ins Herz gestoßen.<<

(Tad Williams, Das Geheimnis der großen Schwerter)

Tad Williams, 1957 in Kalifornien geboren, zählt zum Urgestein der Fantasy. 1987 hielt ich die erste Veröffentlichung des Autors in Händen: >>Traumjäger und Goldpfote<< – hauptsächlich, weil mir W. Horwoods >>Der Stein von Duncton<< (Maulwurf-Fantasy) so außerordentlich gut gefallen hatte, dass ich bereit war, mich auf ein Stück Katzen-Fantasy einzulassen.

Die Art Bücher war damals, vielleicht als Vorreiter für heute noch fortgesetzte Tier-Krimis, ziemlich im Schwange. Williams kam damals aber nicht an Horwood heran – der Traumjäger war ein nettes Buch, ein Stück auf dem Regal, das ich seitdem nicht mehr in die Hand genommen habe, und damit hatte es sich auch schon. Wer konnte schon ahnen, dass Horwood nie wieder etwas Vernünftiges schreiben sollte? Seine vor einigen Jahren erschienene Wolfssaga erscheint mir nicht nur grausam, sondern auch wirr.

1991 stieß ich dann in der Stadtbücherei Recklinghausen auf Tad Williams‘ >>Drachenbeinthron<< ( (Das Geheimnis der großen Schwerter, Band 1). Lang, lang ist´s her – doch ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier war ein Autor erwachsen geworden, herangereift zum Erzähler magischer Mythen – trotz seines ersten, leicht errungenen Erfolges – und >>Udun Einaug<< weiß, wie selten das geschieht.

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Band 1 ist vorangestellt ein Zitat von Gottfried v. Straßburg, Prolog zu Tristan und Isolt: >>… Die lasse auch Gott in Freude leben! Diesen Menschen und diesem Leben ist meine Erzählung unbequem: ihr Leben und das meine gehen auseinander. Ich meine andere Menschen, und zwar die, die in sich vereint tragen ihre süße Bitterkeit, ihr angenehmes Leid, ihre innige Liebe, ihren sehnsüchtigen Schmerz, ihr angenehmes Leben, ihren leidvollen Tod, ihren angenehmen Tod, ihr leidvolles Leben… << Nicht zuletzt deshalb musste ich los, dieses Buch – für stolze 48 DM – in meinen Besitz bringen. Und wartete süchtig, unglücklich, auf das Erscheinen des zweiten Bandes, geschlagene zwei Jahre lang! Immerhin ging es danach zügiger, im Halbjahresrhythmus.

1996 erschien der erste Band des Otherland-Zyklus – ein Schock. Auch wenn darin weder Raumschiffe, noch deren Besatzungen vorkommen, gelten die teilweise für den Locus-Award nominierten Bücher als SF. Dazu hatte der Autor seinen Stil verändert, arbeitete plötzlich mit harten, schnellen Szenenwechseln. Eben wie der Radio-Moderator, als welcher er 10 Jahre lang arbeitete, nur einer der legendären >>100 Jobs<<, denen er vor dem Erfolg der >>Großen Schwerter<< nach zu gehen gezwungen war.

Ab 2005 begeisterte Tad Williams mich noch einmal mit >>Shadowmarch<<. Doch viele seiner späteren Sachen finde ich eher schwach. Dazu gehört insbesondere die >>Tinkerfarm<<, ein gemeinsames Projekt mit Ehefrau Deborah Beale. Anwaltsengel >>Bobby Dollar<< wiederum irritierte mich durch unangenehm fundamentales Christentum.

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Tad Williams

Otherland / Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Taschenbuch: 937 Seiten

Verlag: Klett-Cotta; Auflage: 1 (29. Oktober 2016)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3608949615

ISBN-13: 978-3608949612

Originaltitel: Otherland 1. City of Golden Shadow

Größe und/oder Gewicht: 13,5 x 5,5 x 21,6 cm

Verlagsinformation:

Otherland – ein virtueller Raum, der von den reichsten und skrupellosesten Männern der Erde regiert wird: Der Gralsbruderschaft. Otherland, das ist ein Ort der kühnsten Phantasien und der schlimmsten Albträume.

Eine Gruppe mächtiger Männer, die sich Gralsbruderschaft nennt, hat mit enormen Geldmitteln das Simulationsnetzwerk »Otherland« entwickelt. Es ist mehr als nur die Spielwiese einiger Exzentriker: Von langer Hand vorbereitet soll es das gigantische Kontrollsystem werden, das die gesamte Menschheit beherrscht.
Nur wenige haben eine Ahnung davon, welche Ausmaße das Netz bereits angenommen hat. Nur wenige erkennen die tödliche Gefahr. Angelockt von der Vision einer strahlenden, einer goldenen Stadt, versammeln sich neun Menschen in der VR, um sich dem Bösen entgegen zu stellen und seine Pläne zunichte zu machen.

Angelika Herzog meint:

Der Verlag verrät hier bereits eine ganze Menge. Ob das klug ist? 1996 erschien Tad Willams episches, seinerzeit bahnbrechendes Werk zu ersten Mal. Nun wird es der nächsten Generation präsentiert. Wenn mit der „Stadt der Goldenen Schatten“ das Internet gemeint ist, so sind sie die Bewohner, zumindest aber gut unterrichtete Touristen. Ich habe keine Ahnung, wie die Story auf sie wirken mag: möglicherweise halten sie diese für ebenso charmant wie ich selbst Williams mittelalterliches Osten-Ard-Panorama. Lesenswert ist die Geschichte jedoch unbedingt, befand sich der Autor doch auf der Höhe seines Schaffens. Ich habe die Bücher damals verschlungen. Seitdem habe ich sie mehrfach wieder zur Hand genommen, Otherland ist stets eine Reise wert.

Was gäbe es noch zu sagen? Zunächst: wir sind immer noch ein gutes Stück von Willams´ Utopie entfernt. Das 21. Jahrhundert kam ohne virtuelle Einkaufsstraßen, um dort zu spazieren, ohne digitale Cafés und Vergnügungsstätten. Das ist verdammt gut so. Denn Renie Sulaweyo, Dozentin an einer Technischen Hochschule in Südafrika, lernt schnell wie bedrohlich diese zweite, völlig eigenständig neben der Realität existierende Welt sein kann.

Faszinierend ist auch, was der Autor über einen fast schon verschwundenen Teil der Menschheit ausgräbt. Der Protagonist !Xabbu ist einer der letzten Ureinwohner Südafrikas, ein Buschmann. Er will bei Renie studieren, um ein großes Projekt zu verwirklichen, eine Simulation seiner untergehenden Welt.
!Xabbu ist äußerst talentiert. Er und Renie machen große Fortschritte, bis die Frau eines Tages den Hilferuf ihres Bruders Stephen erhält. Dieser ist mit zwei Freunden in den inneren Distrikt eingedrungen, zu welchem der Zugang streng limitiert ist. Dort haben sie einen Vergnügungsladen namens „Mr. J’s“ aufgesucht und wurden dabei entlarvt.

Bei ihren Forschungen findet Renie die Abbildung der goldenen Stadt. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse.

Verkörpert in der Person !Xabbu, gelingt es dem Autor tatsächlich, den Buschmänner im Verlauf der Otherland-Saga ein Denkmal zu errichtet. Hierzu verwendet er Lieder, Mythen und Geschichten, um dem Leser ihre nahezu unbekannte Welt vorzustellen.

Williams äußert sich in einer Vorbemerkung selbst dazu: >>Ich gebe gern zu, dass ich mir bei meiner Darstellung des Lebens und der Anschauungen der Buschleute … große Freiheiten genommen habe. Die Buschleute haben keine monolithische Überlieferung … und keine einheitliche Kultur. … Aber die alten Traditionen der Buschleute sind am Aussterben. Eine meiner fragwürdigsten Entstellungen der Wahrheit könnte letzten Endes die schlichte Annahme sein, dass in der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts überhaupt noch jemand übrig sein wird, der das Jäger- und Sammlerleben im Busch weiterführt. … aber wenn die Geschichte zur Folge hätte, dass einige Leser mehr über die Buschleute und über eine Lebensweise erfahren, die keiner von uns achtlos vom Tisch wischen darf, so wäre ich glücklich darüber.<<

 

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