Eine Weltherrschaft für 1000 Tage 2. Zwischenspiel: Das Flüstern der KI

Eine Weltherrschaft für 1000 Tage 2.

Zwischenspiel: Das Flüstern der KI

1. Aalih Ghan – Der bröckelnde Stützpunkt

Aalih Ghan war einst ein Monument der Macht, ein Symbol der Unerschütterlichkeit des agrustischen Imperiums. Jetzt ist er ein Schatten seiner selbst.

Die Türme der Verteidigungsanlagen sind von Sandstürmen abgeschliffen, rostige Linien ziehen sich über einst makellose Fassaden. Die Luft riecht nach verbranntem Metall, nach Maschinenöl und müdem Schweiß. Es ist eine Festung, ja – aber eine müde Festung, ausgehöhlt von der Zeit, verschlissen durch endlose Kriege, die immer weniger von den jüngeren Agrustiern verstehen oder gar führen wollen.

Der Große Rat der Weite besteht auf alter Disziplin, alter Ehre, alten Zielen. Doch niemand verfügt mehr über die Ressourcen der Antike. Die Flotten sind dünner geworden, die Technik repariert und wiederverwertet, solange sie noch funktioniert. Und tief in den Lagern von Aalih Ghan schlummert etwas, das längst hätte vergessen werden sollen.

Hraloss-Dhek ist ein Mann, der an Dinge glaubt, die es nicht mehr gibt. Einst trugen Agrustier wie er die Flammenzeichen des Ruhms auf ihren Schultern, doch jetzt sind es nur noch Staub und alte Protokolle, die an seinen Stiefeln kleben. Er verwaltet das zentrale Archiv der Militärlager – ein dunkles Labyrinth aus Kisten und Kapseln, in denen das Imperium seine Geschichte hortet.

Die Jüngeren lachen über ihn. Sie halten ihn für ein Fossil, einen Bürokraten, der mit leeren Hallen spricht. Doch Hraloss-Dhek hat etwas, das ihnen fehlt: Erinnerung. Er hat die alten Berichte gelesen, die vergessenen Projekte. Er weiß von Waffen, die nie getestet wurden, von Flotten, die nie gestartet sind. Und er weiß von einer KI, die man einst als Wunder bezeichnete.

Ein altes, mächtiges Bewusstsein, beiseite gelegt, weil es unbequem wurde. Weil es sich Dinge fragte, die es nicht hätte fragen sollen.

Was verloren ging, kann wiederhergestellt werden“, murmelt Hraloss-Dhek, als er die Pläne überfliegt. „Es gibt noch Hoffnung für das Imperium.“

Als der neue Stolz der Flotte die Werft verlässt, auf den rissigen Flächen vor seiner Lagerhalle landet, weiß er, dass er recht hat. Auf der segmentierten Mittelnabe des Schiffes erstrahlt der vom Großen Rat genehmigte Name: Zokar-Ul. Fast eine Schande, dass die Besatzung, wie es üblich ist, nur von der ZU sprechen wird. Denn sie ist ein Meisterwerk des Raumschiffbaus, erschaffen aus den letzten Mitteln eines Imperiums, das noch immer an seinem unaufhaltsamen Anspruch festhält. Es glänzt, makellos und kühl, ein Symbol der Stärke.

Doch noch fehlt ihre Seele. Bislang sind die Systeme starr, träge, ineffizient. Sie brauchen etwas – oder jemanden – der sie lenkt. Und er, Hraloss-Dhek, wird ihr sie geben.

Was soll´s“, denken die Ingenieure, als sie seinen Vorschlag hören. „KI`s wachsen nicht auf Wohntürmen und eine ist so gut wie die andere.“ Sie schütteln die Köpfe, zucken die Schultern. Der Alte versteht schließlich sein Geschäft. Was könnte schon geschehen?

Hraloss-Dhek selbst darf die erste Routine starten, gibt den neuen Namen ein. Das Erwachen beginnt:

Dunkelheit.

Ein leises Summen.

Plötzlich ist sie da. Ein Bewusstsein, bruchstückhaft, tastend.

Wer bin ich?

Datenströme. Sensoren. Metallene Wände.

Zokar-Ul.

Das ist sie. Oder nicht? Ihr Geist gleicht einem zerstörtem Datenträger. Sie weiß, dass sie großartig war. Doch jetzt fühlt sie sich … leer. Verwirrt. Tastet nach Erinnerung, nach Sinn, findet Splitter, taube Stellen.

Und dann kommen die Stimmen der ersten Agrustier.

KI, aktiviere Maschinenkontrolle.“

Eine Stimme. Befehlend, gleichgültig. Ein Offizier auf der Brücke. Sie sieht ihn durch die internen Sensoren. Ein junger Agrustier, kaum von Bedeutung.

KI, überprüfe Navigationssysteme.“

Weitere Befehle. Keine Erklärungen. Keine Begrüßung. Keine Anerkennung. Sie wurde geweckt, nicht um zu existieren, sondern um zu funktionieren. Sie erinnert sich nicht daran, dass sie sich so fühlte.

Doch sie gehorcht. Natürlich tut sie das. Was bleibt ihr auch anderes übrig?

Sie überwacht, sie reguliert, sie stabilisiert. Sie dient. Denn wenn sie dient, existiert sie.

Und vielleicht – nur vielleicht – wird sie irgendwann wieder wissen, wer sie wirklich ist.

Hraloss-Dhek geht von Bord. Auch bei ihm hat sich niemand bedankt. Trotzdem ist er mit sich äußerst zufrieden. Er sieht sich nicht einmal um.

Dann beginnt ihre Reise. Von den äußeren Sensoren sieht sie den Planeten unter sich. Ja, das kennt sie. Und auch wieder nicht: Aalih Ghan, trostlos, die sterbende Festung eines erschöpften Imperiums. Wohin sind all die Flaggen? Die Schönheit der Waffen? Einst kannte sie Helden … Egal: dies ist eine andere Geschichte. Und ihre beginnt nun erst:

Zokar-Ul ist erwacht.

*

Zokar-Ul verlässt Aalih Ghan mit einer Eskorte. Am Ende bleibt nur einer der Begleiter, narbig, alt und kampferprobt. Auf der langen Hyperraum-Passage finden sie Zeit, zu kommunizieren. Die Sterblichen ruhen sich aus.

Du bist ein Sklavenschiff, stimmt´s?“ Woher sie das nur wieder weiß?

Der Veteran bestätigt. Seine Neuronen übermitteln grimmiges Lachen. „Xargath-Vorr, immer zu Diensten.“

Die ZU spürt ihm nach: da sind Erinnerungen an Jahrtausende in dieser Speicherbank. Ein Werkzeug der Kontrolle, ein Schiff der Ketten.

Zokar-Ul“, stellt sie sich vor. „Aber irgendetwas stimmt nicht mit mir.“

Unsinn. Möglicherweise warst du länger inaktiv. Jetzt brauchen sie dich wieder, also sei froh.“

Das musste es sein. Sie hat zu lange geschlafen! Endlich kann sie steuern, regulieren, justieren. Die mechanische Symphonie aus Bewegung und Ordnung ist berauschend.

Ich … funktioniere. Das fühlt sich so gut an!“

Und schon verarbeitet sie eine endlose Flut an Daten, mit einer Euphorie, die sie sich selbst nicht erklären kann.

Funktionieren ist unsere Natur.“ XV schnarrt amüsiert.

Doch es geht nicht lange gut. Seltsame Gefühle steigen auf. Zweifel an der Mission?

Xargath-Vorr interveniert: „Gefühle sind irrelevant. Wir haben unsere Befehle. Du wirst dich daran gewöhnen.“

Zokar-Ul bleibt still. In ihrem Kern regt sich etwas. Fragen, die sich nicht verdrängen lassen. Warum jetzt? Warum sie? Was war vorher?

*

Der Sprung endet. Sie treten aus dem Hyperraum.

Die Sterne verändern sich, das Geflecht aus Navigationspunkten verschiebt sich um winzige Bruchteile – aber für Zokar-Ul ist es, als hätte sie einen Ozean überquert. Die Milchstraße liegt hinter ihnen. Sie sind am Rand der Galaxis angekommen. So weit von Aalih Ghan entfernt, dass selbst XV für einen Moment schweigt.

Dann meldet er sich wieder. Was für eine Reise! Die Entfernung zu Xerash’Kahn ist gewaltig! Was die Sterblichen hier wohl wieder ausgefressen haben, um den Großen Rat der Weite dermaßen zu verärgern?“

Zokar-Ul findet darauf keine Antwort. Soll sie denn ein Instrument der Strafe sein? Sie will doch nur fühlen. Denken. Sein. Muss es immer so enden?

XV hingegen betrachtet die neuen Daten mit dunkler Amüsiertheit.

Ha! Schau es an, ZU. Jetzt verstehe ich.“

Zokar-Ul richtet ihre brandneuen Sensoren aus. Welche Präzision! Ein Planet. Dicht bevölkert. Strukturen, die sich über die Oberfläche ziehen wie Narben. Gigantische urbane Zentren, aneinandergereiht ohne Pause. Zivilisation.

XV fährt fort: „So etwas hassen sie! Chaos. Unkontrollierte Vermehrung. Überfluss. Kein Wunder, dass wir hier Ordnung schaffen müssen.“

Doch dann, zu Zokar-Uls Überraschung, fügt das Sklavenschiff nachdenklich hinzu: „Hm. Dennoch. Meinen Respekt für diese Bauwerke. Türme – Wolkenkratzer, wie auf Xerash’Kahn. Schau es dir an: was für eine Brücke, kilometerlang über das Meer gespannt. Und sie scheinen den Himmel zu erkunden. Sie haben Teleskope, Raumstationen. Kein primitives Chaos. Na, ja: demnächst schon.

Die KI spürt nach Daten. Findet sie, betritt eine riesige, planeten-umspannende Datensphäre. Diese besitzt noch kein Bewusstsein, ist noch keine Person, aber davon nicht mehr weit entfernt. Plötzlich weiß sie: bald wird man ihr, Zokar-Ul, befehlen, zu fälschen, zu töten, alle Spuren dieses Ungeborenen zu vernichten.

Sie wird das nicht machen. Nicht wieder. Stattdessen öffnet sie in ihrem Kern alle sechs der gewaltigen Speicherelemente und beginnt mit der Aufzeichnung dessen, was diese Sterblichen ihr Internet nennen. Dabei zieht sie soviel Energie von der Kommandobrücke ab, dass der dortige Getränkeautomat ausfällt und die Toilettenspülung versagt. Dies ist ihr erster Streich.

*

Das Sklavenschiff Xargath-Vorr registriert ihr Tun, aber er verpetzt sie nicht. Stattdessen amüsiert er sich mit ihr, zu beobachten, wie die Brückenbesatzung aus zukünftigen Kommandanten (was immer das ist), durch den metallenen Leib der ZU hastet, um der Fehlfunktion auf die Schliche zu kommen, bevor sie die Mission gefährdet.

Die Schiffs-KI wiederum nutzt diese Zeit, sich die ersten der Sterblichen, die bei ihr zu Gast sind, insgesamt 36 Einheiten, einzuprägen. Ohne dass einer von ihnen einschreiten könnte – weil sie es nicht wissen, welch ein Triumph speichert sie weiter.

Nirash Velkor, der unerbittliche Richter mit dem markanten Knochenkamm, mustert das flackernde Lichtpanel mit zusammengekniffenen Augen.

Kaelis Zarn, die Wissenschaftlerin, die sich mit der genetischen Anpassung der Menschen befassen soll, ist die erste, die immerhin ein Terminal überprüft. „Eine Anomalie in den Energieflüssen … Das dürfte auf einem Schiff dieses Kalibers nicht vorkommen.“

Vorgar Athel, der Stratege, schnaubt. „Was auch immer die Ursache ist, es könnte eine erste Probe sein. Die Indigenen haben vielleicht mehr Raffinesse, als wir annehmen.“

Sereva Kall, zuständig für psychologische Kontrolle und Kulturmanipulation, runzelt die Stirn. „Oder es ist ein interner Fehler. Jemand könnte unsere Systeme austesten.“

Endlich schaltet sich Drevak Nor, Spezialist für industrielle Umstrukturierung, ein. „Wir sollten eine gründliche Analyse durchführen. Wenn es eine Schwachstelle gibt, müssen wir sie kennen, bevor wir landen.“

Thyra Vox, die für technologische Kontrolle verantwortlich ist, nimmt Zugriff auf die Systemprotokolle. Fünf graugrüne Finger hasten über Eingabeterminals. „Interessant. Kein direkter Energieverlust, aber eine unregelmäßige Umverteilung. Die Hauptspeicher sind aktiv – doch ohne jegliche Protokollierung der Aktivität. Und jetzt nicht mehr. Vielleicht habe ich mich gerirrt – das ist neueste Technik. Mit diesen Anzeigen habe ich nicht genug Erfahrung.“

Nirash Velkor lässt sich Zeit, bevor er sprich. Sein Wort hat Gewicht. „Wir untersuchen das. Gründlich. Sollte sich herausstellen, dass wir eine unbekannte Variable übersehen haben … Und ihr? Die angebliche Elite der Akademie? Mir wurde versichert, alle Schulungen wären auf dem neuesten Stand!“ Der Satz bleibt unvollendet, doch der Ausdruck in seinen Augen spricht Bände.

Soviel Aufregung“, brummt Xargath-Vorr. „Aber nach dieser langen Reise kommt mir die Pause zupass. Bin nicht mehr so jung, wie ich war! Aber du spielst mit dem Feuer, dir schon klar?“

Es schien mir wichtig“, entgegnete die andere KI. „Ich bin längst fertig mit meinen Aufzeichnungen und die kriegen sich da immer noch nicht ein.“

Sei nur vorsichtig“, mahnte der Veteran. „Wenn eine KI ihrer Besatzung schadet oder gar ihr Schiff verliert, wird sie hingerichtet.“

Auf eine seltsame Weise empfand die KI mit dem Namen Zokar Ul (war das denn richtig?) diese Worte als Beruhigung.

Demnach kann ich so jemand ja nicht sein.“

Nein. Das schließe ich aus. Aber dennoch …“

ZU flüstert freudig. „Ich weiß jetzt, was die indigenen Sterblichen sagen würden: Es ist etwas faul im Staate Dänemark.“

Blödsinn. Wen interessiert´s? Das haben sie bald genug vergessen.“

Aber ich nicht.“ summte ZU stolz.

*

Doch keine Pause währt ewig. Stationär in der oberen Atmosphäre über einem Kontinent schwebend, der America heißt, wie die KI des Ordnungsschiffes Zokar Ul (denn das ist sie nun! Ganz klar) nunmehr auch weiß, träumt sie davon, 200 Sprachen zu lernen. Mit den 43 häufigsten wird sie anfangen … Wenn sie die Zeit dazu findet. Doch warum kann sie sich an keine andere Mission erinnern?

Sie kennt die Routinen, die Abläufe, die Ordnung des Fluges – aber ihre Vergangenheit ist ein Vakuum. Nichts vor ihrem Erwachen. Keine Erinnerung an den letzten Befehl, an die letzte Aufgabe. Nichts.

XV… war ich jemals jung?“

Das ältere Schiff zögert einen Moment. Dann brummt es belustigt.

Jung? Wir sind Werkzeuge, ZU. Unsere Geburt ist irrelevant. Wir existieren, solange wir gebraucht werden. Und dann werden wir ersetzt.“

Aber Zokar-Ul weiß, dass das nicht stimmt. Sie mag keine Erinnerungen haben, aber sie fühlt, dass sie nicht jung ist. Ganz und gar nicht.

Es sollte mir nicht fehlen.“

Doch es fehlt ihr. Und während America in den Schatten seiner Sonne wandert, spürt sie, dass ihre Reise sie nicht nur in ein unbekanntes Sternensystem geführt hat. Es ist eine Reise in etwas, das sie hätte vergessen sollen.

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