Meinen geneigten Lesern schlage ich vor, diesen Beitrag zunächst ruhen zu lassen, da er zuviel spoilert. Der zeitlich näher angeordnete Agrustier-Konflikt ist noch nicht zu Ende gedacht und geschrieben.
Das Alien-Projekt im Juli 2025:
Der Feind meines Feindes – die Frynx
Einst hatten die Tiar die Menschenwelten der Galaxis beschirmt und isoliert. Seit dem Ende des „Geisterkrieges“ (oder handelt sich es lediglich um einen Waffenstillstand?), erhielten wir jedoch des öfteren Besuch von echten Aliens.
Darf man die Agrustier dazu zählen oder sind sie eher Nachkommen der Ersten Menschheit, völlig aus dem Ruder gelaufene Mystiker? Eines ganz sicher: eine Geißel und ein Greuel. Manchmal jedoch kommt Hilfe von unerwarteter Seite.
Auch die Frynx besitzen ihr eigenes, von uns sehr weit entferntes, Sternenreich. Bei ihnen handelt es sich um eine amphibische, semi-humanoide Spezies mit schlanker, geschmeidiger Gestalt. Ihre Haut ist glatt und irisiert in Blau- und Grüntönen, durchzogen von biolumineszierenden Mustern, die sich je nach Stimmung verändern. Sie besitzen geschickte, dreifingrige Hände sowie Gliedmaßen mit hochsensitiven Rezeptoren, die Strömungen in Wasser und Luft wahrnehmen können. Ihre Köpfe sind von feinen, beweglichen Kiemen gesäumt, die ihnen das Atmen sowohl unter Wasser als auch an Land ermöglichen. In der männlichen Ausprägung zieren den Schädel auch Tentakel unterschiedlicher Länge. Die Frynx kommunizieren teilweise durch Lichtsignale und setzen fortschrittliche wasserbasierte Technologien ein, die sich organisch in ihre Umwelt einfügen.
Wie jede erfolgreiche Lebensform hatten sie gelernt, sich mit den Nachbarn zu arrangieren. In ihrem Fall war das schon vor Äonen geschehen. Mit der Menschheit gab es bis dahin allerdings keine Berührungspunkte. Ausgerechnet den Agrustiern sollte es zukommen, dies zu ändern.
Die Begegnung erfolgte nicht in einem offiziellen Diplomatenkreis, sondern mitten im weiten Nichts von Sektor C, eine zufällige, doch schicksalhafte Kollision zweier Zivilisationen.
Die „Tanzende Ströme“, eines von vielen frynxischen Patrouillenschiffen, folgte einer eher selten befahrenen Route durch Sektor C. Dabei entdeckte der HoloCom-Moderator massive Antriebssignaturen, welche auf ein Mutterschiff hinwiesen – allerdings keines, von dem die Frynx je gehört hatten.
„Volle Deckung“, befahl Kommandant Rhy’Vass. „Sind wir bemerkt worden?“
M’nafrex checkte seine Instrumente. „Negativ“, befand er wenig später.
Rhy´Vass ordnete an, mobile Kameras auszuschleusen. „Wollen doch mal sehen, wer sich hier herumtreibt und warum.“
Die Frynx verbargen sich im äußeren Asteroidenring einer gelben Sonne. Auf offiziellen Karten erscheint sie als Vega, sie ist noch jung, astrophysikalisch betrachtet gerade heraus aus der Pubertät. Doch die Frynx sind eine poetische Spezies. In ihrer an Plätscherlauten so reichen Sprache heißt sie „Leuchtende Mutter 123“.
Das Fremdschiff entpuppe sich als monströse Konstruktion aus schwarzem Metall, dessen Außenhülle mit dornartigen Strukturen versehen war, die wie stählerne Krallen ins All ragten. Umgeben war es von einem pulsierenden Energiefeld, das in unregelmäßigen Intervallen aufflackerte, als würde es das Universum selbst herausfordern. Die Triebwerke brannten mit einer unnatürlich grünlich-blauen Flamme, und überall an der Außenhülle waren gewaltige Kanonen zu sehen.
Der an seinen Bildschirmen hantierende Kommunikationsoffizier gab Laut: „Oops, damit möchte man sich sich nicht anlegen.“
Rhy´Vass gebot ihm Schweigen, mit einer Geste seiner dreifingrigen, bioluminiszierenden linken Hand.
Tatsächlich besaß das fremde Schiff eine weitere, beunruhigende Eigenschaft: beim Eintritt in Vegas Planetensystem teilte es sich in sechs Sektionen, jede davon eine autonome Kampfeinheit mit eigenen Laderäumen und Waffen. M’nafrex wies die Drohnen an, ihnen zu folgen. Die Fremden schienen nichts davon zu bemerken.
Auf allen Schirmen beobachtete die altgediente Patrouille das Auseinanderdriften, die Landung der Module in einer präzisen Formation. In der Folge spielten sich auf der gesamten Landmasse des Planeten ähnliche Szenen ab.
„Was wissen wir über diese Welt?“ fragte der Kommandant.
M’nafrex scrollte durch Dateien. „Thal’Zyrr. Durchaus zur Besiedlung vorgesehen, aber in Reservestellung, weil entlegen. Wurde noch zu Zeiten des Bevölkerungsbooms erschlossen.
Rhy´Vass erschauerte. „Seitdem haben wir dazu gelernt. Besser Lebensqualität, statt Quantität.“
Die grazile Ondroxia wies auf die Bildschirme. „Ich verstehe nicht ganz. Die Lebensformen folgen dem häufigsten Muster: zwei Beine, zwei Arme, verfügen sogar über die identische Anzahl von Fingern … Unterschiedliche Farben, doch könnte man meinen, sie wären eng verwandt. Die Besucher sind aber viel größer und kräftiger, trotzdem stehen sie nur herum und starren. Und die Schwachen, Kleineren wuseln wie irre und schleppen Säcke zu den Schiffen.“
„Sieht übel aus“, bestätigte der Kommandant. „Die Arbeiter tragen nur Lumpen. Und sie sind so dürr … da, schau mal, den Gepanzerten geht es immer noch nicht schnell genug. Besser ernährte Arbeiter kommen aus den Hütten und prügeln auf die anderen ein.“
„Wir sind nur ein Patrouillenschiff“, zischte M’nafrex. „Was sollen wir tun?“
„Beobachten“, entgegnete Rhy´Vass.
*
Erst als der Kontinent fast schon in Vegas Nachtschatten eintauchte, schien sich das fremde Schiff satt gefressen zu haben. Hoch über Thal’Zyrr setzte es sich wieder zusammen, machte sich zum Aufbruch klar.
„So nicht, meine Herren“, fluchte der Kommandant. „Einen Schreck möchte ich euch schon versetzen. M’nafrex, Nyxal-Manöver starten!“
Der Angesprochene hämmerte auf seine Tastatur ein. Die Kameradrohnen draußen im Weltall schwenkten auf neuem Kurs, formierten sich, konfigurierten das Hologramm des gewaltigsten und modernsten Schlachtschiffes der Frynxschen Föderation.
Zunächst schickte man eine sanfte Kommunikationswelle, eine Mischung aus Vibrationen und Lichtmustern, die in der Sprache der Frynx Frieden bedeutete. Doch die Antwort kam in Form eines hochenergetischen Scans, der das Hologramm zum Flackern brachte.
Auf dem Hauptschirm erschien das Abbild eines hochgewachsenen Wesens in einer schwarzen, von Gold überkrusteten Rüstung. „Feiglinge“, tönte es. „Würmer, die sich verstecken und größer scheinen wollen, als sie sind. Wir konnten eure Sprache entschlüsseln. Vernehmt nun, dass ich Strategarch Vekthar bin, Beschaffungsoffizier der Agrustierflotte.“ Seine Augen blitzten voller Kalkül. „Ihr habt das Hoheitsgebiet der Agrustier betreten. Erklärt eure Absichten oder bereitet euch auf Gegenmaßnahmen vor.“
Rhy’Vass musterte den Fremden. Die Stimme war hart, die Worte waren drohend. Die Frynx kannten solche Muster. Ihr Volk hatte unzählige Spezies getroffen, friedliche und kriegerische gleichermaßen.
„Wir sind Frynx. Wir beanspruchen kein Territorium, wir beschützen das Gleichgewicht des Universums. Ihr seid in einem Sektor, den unsere Vorfahren als heilig betrachteten. Wir fordern einen Dialog.“
„Ihr fordert?“ Vekthars Lachen war trocken. „Eure Technologie mag beeindruckend sein, doch unsere Waffen sprechen lauter als Worte. Dies ist kein Ort für Verhandlungen.“
Bevor Rhy’Vass antworten konnte, feuerte das agrustischen Schiffe eine Salve ab, die nicht nur das Hologramm zerstörte, sondern alle Kameras zerfetzte.
„Krieg mich, wenn du kannst“, lachte Rhy´Vass in die Runde. „Was diese Wutbolzen immer mit ihrer Feigheit haben, hat sich mir noch nie erschlossen. Maschinen aus!“
Tiefer duckte sich das Patrouillenschiff in den Krater des Asteroiden. Doch Ondroxia wurde plötzlich übel. Rasch deutete der Kommandant ihre Handzeichen. „Telepathischer Angriff“, bellte er. „Sanitäter, die Spritze für alle.“
Sofort danach entspannte sich die junge Forscherin. „Das war widerlich“, meinte sie. „Jetzt wissen wir, wie sie die Wesen auf Thal`Zyrr beherrschen.“
„Da wir nicht wirklich mit ihnen verwandt sind, wirkt es so gut wie gar nicht“, erläuterte der Krankenpfleger. Jemand wie er hatte auf Frynxschiffen gleichzeitig die Kantine unter sich.
„Mir reicht´s“, stöhnte M’nafrex. „Lieber sauge ich Xcal direkt aus den giftigen Blüten.“
*
Während Thal’Zyrrs größte Landmasse seine Reise durch die Nacht vollendete, ruhte sich auch die Mannschaft des Patrouillenschiffes aus. Sobald die Strahlende Mutter dort wieder ihre Herrschaft fortsetzte, landeten auch die Frynx, in einer nicht näher benannten Bucht. Dies löste bei den fischenden und auf nahegelegenen Feldern arbeitenden Lebensformen erneut Panik aus.
Um Rücksicht bemüht, beschränkte sich die Crew zunächst darauf, Proben von Luft, Wasser und Erde zu nehmen. Bis zur Mittagszeit wechselte sich die siebenköpfige Besatzung damit ab, Wache zu halten und Analysen durchzuführen. Dann kam man auf der Brücke zu einer Besprechung zusammen.
„Sie sind zu verängstigt, um Kontakt aufzunehmen,“ bedauerte Kommandant Rhy’Vass abschließend. „Gerne würde ich das berücksichtigen, aber diese Daten sind eine Katastrophe.“
„Ich bin kein Wissenschaftler“, bedauerte der Sanitäter. „Aber ein Blinder unter einer Tauchglocke erkennt, dass der Planet mindestens so schlimm leidet wie diese Leute. Rings um uns herum invasive Pflanzenarten, die das natürliche Gleichgewicht zerstören. Die einheimische Flora verkümmert, während fremde Gewächse das Land überwuchern und die Böden auslaugen. Strände voller Algenschaum …“
„Und dazu brauchen sie nicht einmal Maschinen“, murrte Myr’Vaan, eine ältliche Offizierin. „Die Agrustier lassen sie das Land mit bloßen Händen bearbeiten, unter der Aufsicht brutaler Aufseher. Die Böden sind mit ihren Ausscheidungen überladen.“
„Das Übel der Sklaverei“, versetzte Ondroxia. „Werden wir es je besiegen?“
„Machtgier und Arroganz“, zischte Rhy’Vass. „Heute Nachmittag betreten wir das Lager, filmen die Zustände. Deine Aufgabe, M’nafrex, wird sein, einige authentische Gespräche mitzuschneiden, damit die zuhause ihre Sprache entschlüsseln. Wir bringen die Sache vor den Großen Rat.“
*
Thal`Zyrr gehörte zur Frynxschen Föderation, doch wenn man ehrlich war, eher theoretisch. Und so brachte man die Beweise vor das Galaktische Parlament der Fremdspezies. Von dort kam die Anordnung, die Agrustier vorzuladen. Und so entsandten die Wassergeborenen ihr modernstes Schlachtschiff, die Stromsänger, um Kontakt mit den Agrustiern aufzunehmen und ihnen die Vorladung des Galaktischen Parlaments zu überbringen. Doch das erwies sich als schwieriger als erwartet. Die Agrustier vermieden den Kontakt mit anderen Spezies und bewegten sich auf abgelegene Routen durch den Raum. Erst nach langer Suche stieß die Stromsänger auf ein einzelnes agrustisches Kriegsschiff, das sich aus einem unkartierten Nebelgebiet schälte.
Die Brücke der Stromsänger war in angespanntes Schweigen gehüllt, als sich der riesige fremde Kreuzer auf den Hauptbildschirm legte. Sein dunkler, kantiger Rumpf wirkte wie ein Raubtier, das im Schatten lauerte. Kommandant Ly´sandor beugte sich vor, während seine Tentakel sanft über das holonetzartige Steuerpult glitten.
„Energieaktivität?“ fragte er leise.
„Minimal,“ meldete der Sensortechniker. „Aber sie haben uns sicher bemerkt.“
„Öffnet einen Kanal.“
Auf dem Bildschirm erschien eine massige Gestalt, gehüllt in eine schwere, zeremonielle Rüstung. Kommandant Krax’Thir, ein hochrangiger Agrustier, mit grünlich-grauer, wettergegerbter Haut und tief liegenden, durchdringenden Augen, die von einer telepathischen Präsenz durchdrungen waren.
„Wer wagt es, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen?“ grollte Krax’Thir mit kalter Missbilligung.
Ly´sandor ließ sich nicht einschüchtern. „Ich bin Kommandant Ly´sandor von der Stromsänger der Wassergeborenen Föderation. Ihr seid offiziell vom Galaktischen Parlament der Fremdrassen vorgeladen, um euch für eure Handlungen auf Thal’Zyrr zu verantworten.“
Ein Zucken lief über Krax’Thirs Gesicht. „Handlung wo, zum Henker? Und wer will etwas von uns?“
„Wir machen euch Nr. 5 im Vega-System streitig. Ihr habt daraus eine elende Sklavenwelt gemacht, Krayusha in der Sprache eurer Opfer.“
Ein düsteres Lächeln huschte über das Gesicht des Agrustiers. „Sklavenwelt? Ihr nennt es Versklavung, wir nennen es Ordnung. Ohne uns wären diese Kreaturen nicht mehr als Krabbler, die sich in Chaos verlieren.“
Die Luft auf der Brücke der Stromsänger wurde schwer. Ohne Vorwarnung flammte ein unheimliches Gefühl im Kopf der Besatzung auf. Ein dumpfer Druck, ein widerliches Kribbeln, als würde eine fremde Präsenz ihre Gedanken berühren. Doch die Neuroblocker wirkten – der Beeinflussungsversuch der Agrustier prallte an ihnen ab. Dennoch fühlten sich die Frynx beschmutzt.
„Sie versuchen es,“ murmelte der medizinische Offizier Thyr Vandis. „Aber es kommt nur gerade eben durch.“
Ly´sandor widerstand dem Drang, sich an den Kopf zu fassen. Stattdessen lächelte er kalt. „Eure Tricks werden nicht funktionieren. Kommt vor das Parlament oder verliert euren Zugang zu den Hyperraumrouten.“
Krax’Thir verschränkte die Arme, seine telepathische Präsenz drückte ein letztes Mal gegen die Widerstände der Wassergeborenen, doch das Ergebnis blieb dasselbe. Frustriert riss er die Lippen auf, zeigte seine scharfkantigen Zähne. „Ihr haltet euch für mächtig, weil ihr eine Versammlung von Schwächlingen hinter euch habt? Wir haben Besseres zu tun, als an einem Mummenschanz teilzunehmen.“
Die Agrustier schienen sich zum Sprung bereit zu machen – Energieaktivität wurde auf ihren Waffenregistern verzeichnet. Doch Ly´sandor blieb ruhig. „Wenn ihr uns angreift, verstärkt ihr nur den Beweis eurer Schuld. Wagt es und seht, wie schnell sich die Galaxis gegen euch stellt.“
Ein Moment der Stille. Dann ein Knurren. Krax’Thir schnaubte. Eine stille Botschaft, eine Strategieüberlegung. Schließlich knurrte er: „Ich werde diese Information weiterleiten. Doch erwartet nicht, dass unsere Oberen sich euren albernen Regeln beugen.“
Der Bildschirm erlosch.
Ly´sandor atmete aus. „Sie wissen nicht, womit sie es zu tun haben.“
„Nein“, der medizinische Offizier Thyr Vandis stimmte zu . „Aber sie werden es bald herausfinden.“
*
Das Galaktische Parlament der Fremdspezies war ein Ort von unbeschreiblicher Größe. Eine gewaltige Kuppel aus schimmerndem Metall und transluzenten Energiefeldern schwebte über einer rotierenden Raumstation nahe dem Zentrum der bekannten Galaxie. Im Inneren trafen Delegierte aus unzähligen Welten zusammen, jede Spezies mit ihrer eigenen Kultur, Technologie und politischen Interessen. Manche waren riesige Wesen, die durch Exoskelette unterstützt wurden, andere schwebten auf Energieblasen oder kommunizierten ausschließlich durch Pheromone und Lichtsignale. Und natürlich konnte dieser Ort gefunden werden, forschte man wirklich danach.
Was die Agrustier bald schon taten, denn ohne Zugang zu den stabilen Hyperraumrouten gerieten Expansion und Logistik gewaltig in Gefahr. Nicht zuletzt ihre Versorgungslinien wurden instabil. Schließlich sahen sich die Fremden gezwungen, der Vorladung nachzukommen. Doch als ihre Delegation im Galaktischen Parlament eintraf, war von ihrer üblichen Arroganz kaum noch etwas zu spüren. Stattdessen wirkten sie kleinlaut, zurückhaltend, die hochtrabenden Worte gedämpft durch die unbequeme Realität, mit der sie konfrontiert worden waren.
Getrennt nach den Sektionen der Lebensbedingungen erschienen innerhalb gewaltiger Holoprojektoren Bilder der versklavten Menschen, der verwüsteten Landschaften und der vergifteten Meere. Ein Raunen ging durch die Reihen der Abgeordneten, als das ganze Ausmaß sichtbar wurde.
Doch sobald die Anklagepunkte verlesen waren, änderte sich die Haltung der Agrustier schlagartig. Anstatt sich für ihr Handeln auf Krayusha zu rechtfertigen, schlugen sie mit eigenen Vorwürfen zurück.
„Was ihr uns antut, ist nicht weniger als ein Genozid!“, donnerte einer ihrer Sprecher, ein hochrangiger Diplomat mit wettergegerbter Haut und schneidender Stimme. „Ihr habt uns von unseren Versorgungsrouten, unsere Städte von lebenswichtigen Ressourcen abgeschnitten. Wisst ihr überhaupt, was ihr getan habt? Ohne die Sklavenwelten werden unsere Industriezentren bald nicht mehr funktionieren!“
Die Delegierten anderer Spezies begannen unruhig zu murmeln. Die Wassergeborenen hingegen blieben ruhig. Kommandant Ly’sandor, der als Vertreter seines Volkes anwesend war, musterte den agrustischen Diplomat mit kühler Biolumineszenz.
„Ihr behauptet also, dass eure Städte ohne die Ausbeutung ganzer Planeten nicht existieren können?“ fragte er scharf. „Dass eure sogenannten Hochkultur nur besteht, weil ihr andere Völker knechtet?“
Der Agrustier funkelte ihn an und ließ ein verächtliches Lächeln über sein Gesicht huschen. „Ihr sprecht von Knechtschaft, ich spreche von natürlicher Ordnung. Schwächere Wesen existieren nur, um den Starken zu dienen. Diese Kreaturen auf Krayusha – würdet ihr sie sich selbst überlassen, würden sie verwahrlosen und verrotten. Unter unserer Führung haben sie Arbeit, eine Aufgabe, einen Sinn.“
Ein entsetztes Raunen ging durch den Saal. Einige Delegierte wirkten fassungslos, andere schienen darauf gefasst gewesen zu sein.
„Ihr sprecht von einem Sinn, aber eure Sklaven sterben vor Erschöpfung!“, entgegnete ein Vertreter der Nair’Vell, deren kristallene Körper unter der Deckenbeleuchtung glitzerten. „Ihr entreißt ihnen ihre Herkunft, ihre Kultur, ihre Freiheit!“
Der Agrustier zuckte die Schultern. „Freiheit ist ein Konstrukt der Schwachen. Wir haben Planeten aus der Asche gehoben, als andere nur Zerstörung sahen. Ihr verdammt uns, weil wir tun, was getan werden muss.“
Ein Vertreter der Eldrani, eine alte und weise Spezies, deren spinnenartige Gliedmaßen langsam durch die Luft schwebten, schüttelte langsam den Kopf.
„Ihr zerstört einen Planeten nach dem anderen,“ stellte der Eldrani fest. „Und nennt es Fortschritt? Das ist nicht Fortschritt. Das ist der Weg in die Selbstvernichtung.“
„Ihr beansprucht, die überlegene Spezies zu sein“, sagte ein Vertreter der tiefseebewohnenden Xalthuun, deren Stimmen wie flüsternde Strömungen durch den Raum hallten. „Aber eine wahrhaft überlegene Zivilisation würde sich weiter entwickeln.“
Einen Moment lang herrschte Stille in der Halle. Dann trat eine agrustische Delegierte vor – eine hochgewachsene Frau mit kühler, steinerner Miene. Ihre Stimme war scharf wie ein Skalpell.
„Weiterentwickeln?“ Sie lachte trocken. „Wir haben uns bereits perfektioniert. Unsere Städte sind die mächtigsten der Galaxis. Unsere Ordnung ist stabil. Unsere Herrschaft ist unerschütterlich. Ihr nennt es Entwicklung, doch was ihr wirklich meint, ist Schwäche.“
Ein anderer Agrustier, älter und mit grimmigem Blick, kniff die Augen zusammen. „Wir erheben uns über das Chaos. Während andere Völker in ihrer eigenen Unfähigkeit versinken, herrschen wir. Unsere Kultur ist nicht an euren Vorstellungen von Moral gebunden – sie ist an Effizienz gebunden.“
„Effizienz?“, wiederholte eine Delegierte der Eldrani mit einem leichten Schütteln endlos langer Beine. „Ihr zerstört ganze Planeten, damit eure Städte florieren, nur um dann weiterzuziehen und die nächsten zu verheeren. Das ist keine Effizienz. Das ist Raubbau am Universum.“
Die agrustische Delegierte hob eine Augenbraue. „Wenn ein Planet seinen Zweck erfüllt hat, gibt es keinen Grund, ihn weiter zu nutzen. Ressourcen sind zum Verbrauch da. Wir haben keine Verwendung für leere Schalen.“
Ein Raunen ging durch den Saal, begleitet von aufgebrachten Reaktionen aus den Reihen anderer Spezies.
So ging es viele Sitzungsrunden lang. Schließlich wurde immer klarer, dass die Agrustier nicht nur eine Bedrohung für einzelne Welten waren, sondern für das gesamte interstellare Gleichgewicht.
Endlich, nach unzähligen hitzigen Debatten, erhoben sich die Richter. Eine Gestalt in der Sektion der Xalthuun ergriff das Wort. Seine phosphoreszierenden Augen schimmerten in der gedämpften Dunkelheit:
„Die Agrustier haben über viele Äonen hinweg den Pfad der Zerstörung beschritten. Ihre Welten sind nichts als verbrannte Hüllen, ihre Städte lechzen nach immer neuen Ressourcen, ihre Herrschaft fußt auf dem Leid anderer. Sie haben kein Interesse an Wandel, sondern an endloser Expansion. Doch Expansion ist nun nicht länger möglich.“
Ein tiefes, uraltes Grollen schwang in seiner Stimme mit, als er das Urteil verkündete:
„Von diesem Tage an wird das Kerngebiet der Agrustier von der Galaxis isoliert. Kein Schiff wird sie versorgen, keine Hyperraumroute wird sie aufnehmen. Sie sind gefangen in dem Käfig, den sie sich selbst erschaffen haben. Mögen sie wählen, ob sie sich verändern oder in ihrer eigenen Dunkelheit untergehen.“
Ein Aufschrei hallte durch die Reihen der Agrustier. Wut, Ungläubigkeit, Panik. Doch es gab keine Widerrede, kein Zurück mehr.
„Alle Sklavenwelten außerhalb dieses Herrschaftsraumes, wo und wann immer sie entdeckt werden, fallen unter die Fürsorge der Frynx. Sie werden den Opfern der Agrustier eine Zukunft geben – eine Zukunft, die jenseits der Ketten und der Dunkelheit liegt.“
Der Saal verharrte in stiller Erwartung, während die Agrustier realisierten, dass sie verloren hatten. Ihr Reich der Unterdrückung war zu einem sterbenden Monument ihrer eigenen Hybris geworden. Stumm und geschlagen kehrten sie dem Galaktischen Parlament der Fremdrassen die Rücken zu. Niemand sollte je wieder von ihnen hören.
*
Eine riesige frynxische Delegation, gekleidet in fließende, biolumineszierende Gewänder, stand auf einer erhöhten Plattform inmitten einer weiten, offenen Versammlungshalle unter dem violett glühenden Himmel von Thal’Zyrr. Die Luft war von feuchtem Nebel durchzogen, der in der Abendsonne glitzerte. Vor ihnen erstreckte sich eine endlose Menge der ehemaligen Sklaven, deren Gesichter zwischen Hoffnung, Unglauben und Angst schwankten. Sie trugen einfache, abgetragene Kleidung, die ihre jahrzehntelange Knechtschaft widerspiegelte. Kinder klammerten sich an die Hände ihrer Eltern, die misstrauisch auf die fremdartigen, doch friedlich wirkenden Gestalten der Frynx blickten.
Kommandant Rhy’Vass hob seine Arme in einer ruhigen, aber bestimmten Geste. Seine Tentakel tanzten, biolumineszierenden Muster flackerten in sanften Blau- und Grüntönen – ein Zeichen für Frieden. Neben ihm stand Myr’Vaan, die ihre Stimme verstärkte, sodass jeder Anwesende sie hören konnte.
„Ihr seid frei,“ sprach sie mit tiefer, eindringlicher Stimme. „Die Agrustier sind fort. Ihr gehört niemandem außer euch selbst. Dies ist nicht mehr Krayusha – es ist Thal’Zyrr! Eure Heimat, und niemand wird euch je wieder Fesseln anlegen!“
Einen Moment lang herrschte unheimliche Stille. Dann murmelten die Menschen untereinander, ein leises, unsicheres Echo, das langsam anschwoll. Einzelne Stimmen brachen hervor – einige schrien vor Erleichterung, andere weinten. Plötzlich hob ein alter Mann die Faust in die Luft und rief mit brüchiger Stimme: „Freiheit!“
Andere murrten: „Was immer das sein soll …“
Die Menge explodierte in Jubel, Tränen und aufgeregtes Umarmen. Doch Rhy’Vass wusste: Freiheit war nur der erste Schritt. Ein neues Leben musste aufgebaut werden, und die Vergangenheit der Menschen musste bewahrt werden – auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnern konnten.
Denn ganz so idyllisch konnte es in der Realität nicht weiter ablaufen. Im Grunde hatte die Frynx-Föderation ein gewaltiges Problem. Bislang war nur Thal’Zyrr gefunden worden – doch selbst dort lebten mittlerweile fünf Millionen ehemaliger Sklaven, Menschen, die bereits in der vierten Generation geboren worden waren. Sie kannten keine Heimat außer dieser Welt. Unter der telepathischen Kontrolle der Agrustier waren aus klarem Wissen Lieder und Legenden entstanden. Aber niemand hatte je vom einem System namens Sol gehört. Und so war ihre Rückführung nicht nur durch Logistik ausgeschlossen.
*
Nicht alle Frynx zeigten sich mit dem Parlaments-Urteil einverstanden. Im Großen Rat der Föderation entbrannte eine hitzige Debatte. Einige Delegierte äußerten ihre Verachtung für die befreiten Menschen. „Sind sie nicht selbst schuld? Sie haben sich versklaven lassen, statt zu kämpfen“, knurrte Xhal’Vorr, ein einflussreicher Industrieller. „Es heißt, sie seien intelligent und lernbegierig. Wie konnten sie dann für ihre Unterdrücker singen und tanzen?“
„Telepathische Beeinflussung?“ wagte jemand einzuwenden.
„Papperlapapp“, versetzte Xhal’Vorr. „Die billigste Ausrede. Jetzt sollen wir unsere Ressourcen für Wesen aufwenden, die nicht einmal in der Lage waren, sich selbst zu retten?“
Auch anderen stießen die enormen Kosten sauer auf. „Mindestens noch eine Ernte-Saison lang haben wir die Unmengen von Getreide am Hals, die von diesen Leuten produziert werden. Wir können so etwas nicht essen! Auf dem galaktischen Markt fällt sein Preis ins Bodenlose! Die Eldrani lachen sich schon scheckig!“
„Die Nahrungsketten unseres Volkes basieren auf dem Wasser“, warf ein Partei-Freund ein. „Bevor wir Kolonisten anwerben – Kindergärtner für die Unfähigen, wenn ihr mich fragt! – müssen geeignete Algenkulturen angelegt werden.“
„Gibt der Haushalt überhaupt diese Investitionen her?“, rief eine Wirtschaftsexpertin.
Dann stellte sie die Frage nach den Bodenschätzen. „Hat Thal’Zyrr überhaupt etwas, das den Aufwand rechtfertigt?“.
Eine Gutachterin erhob sich. „Es gibt tief unter der Oberfläche seltene Metalle, die für unsere Energiesysteme nützlich sein könnten. Aber sie zu gewinnen, würde den Planeten schwer belasten.“
„Und wer soll sie abbauen?“, kam die nächste Frage. „Die Menschen etwa? Wieder in einer Form der Knechtschaft?“
Die Versammlung verstummte. Ly’sandor, gerade erst zum Gouverneur ernannt, sah sich um: „Wir können diese Welt mit ihnen gemeinsam aufbauen. Wir müssen ihnen zeigen, was es bedeutet, frei zu sein. In dem wir sie lehren, lernen auch wir.“
Die Zukunft von Thal’Zyrr und die Rolle der Frynx waren noch lange nicht geklärt.
*
Endlose Felder, gesprenkelt von Dörfern und Gutshöfen, das war es, was die Agrustier hinterlassen hatten. Nur zu schnell brach hier das Chaos aus. Die frynxsche Kolonialregierung musste sich Respekt verschaffen. Sie demonstrierten ihre technologischen Fähigkeiten, indem sie in kürzester Zeit eine erste funktionierende Kanalisation errichteten und Wasserreinigungssysteme aktivierten. Sie setzten klare Regeln für Sauberkeit und nachhaltige Landwirtschaft und vermittelten den Menschen die Grundlagen von Selbstverwaltung und Rechtsstaatlichkeit.
Ein ehemaliger Aufseher, Dorian Rech, der zunächst Widerstand gegen die neue Ordnung leistete, wurde Zeuge, wie Frynx-Mediatorin Myr’Vaan eine aufgebrachte Menge allein durch ihre ruhige, aber bestimmte Ausstrahlung beruhigte. Nach Tagen des Zweifels trat er vor Ly’sandor und sprach: „Vielleicht brauchen wir wirklich eure Führung.“
Es brauchte eine starke Frau wie Nyassa, um dem Gouverneur klarzumachen: die Agrustier hatten nicht nur über die Männer geherrscht – die Männer wiederum hatten über die Frauen bestimmt, daraus nicht wenig Genugtuung bezogen. Die weibliche Variante der Spezies war nichts weiter gewesen als Sklavinnen der Sklaven, ihr Leben ein endloser Zyklus aus Arbeit, Gehorsam und Missbrauch. Als die Frynx ankündigten, dass Frauen in der neuen Gesellschaft als gleichwertige Bürger anerkannt würden, brach ein Sturm der Entrüstung aus.
„Das ist nicht die Ordnung, die wir kennen!“ protestierte ein ehemaliger Vorarbeiter, der seine Familie stets nach agrustischem Vorbild geführt hatte. „Wer soll das Haus führen? Wer hält die Gemeinschaft zusammen, wenn die Zarten und Schönen tun, was sie wollen?“
Doch die Frynx ließen keinen Zweifel aufkommen. Ly’sandor selbst stellte sich der Menge. Seine Biolumineszenz glühte in einer warnenden Welle kalter Farben. „Die Zeit der Unterdrückung ist vorbei,“ sagte er mit fester Stimme. „Wer sich nicht an die neue Ordnung anpasst, wird sich außerhalb dieser Ordnung wiederfinden.“
Unter der wachsamen Führung von Myr’Vaan und anderen Frynx-Mediatoren wurde eine neue Polizeitruppe gegründet. Sie bestand sowohl aus ehemaligen Aufsehern, die sich der neuen Weltordnung fügten, als auch aus Frynx, die für Disziplin und Stabilität sorgten. Um ein Zeichen zu setzten, betraute Ly’sandor Nyassa mit dem Oberbefehl. Mit harter, aber gerechter Hand begann die ehemalige HoloTech Moderatorin, das Chaos einzudämmen. Jede Widerstandszelle wurde aufgespürt, jeder gewaltsame Versuch, die alten Strukturen wiederherzustellen, im Keim erstickt.
Und wie immer heiligte der Zweck die Mittel. Mit der zunächst rasch anwachsenden, später stetig plätschernden Welle von Verurteilten, gewann man die Hände, die unter für sie nicht optimalen Arbeitsbedingungen Algenkulturen anlegten und Korallenbänke sanierten.
*
Die ersten Frauen, die wagten, für sich selbst zu sprechen, taten dies mit zitternden Stimmen – doch sie taten es. Und mit jeder neuen Stimme wurde der Widerstand leiser. Nach und nach scharrte sich um Nyassa ein Kreis von indigenen Freundinnen.
Nur langsam schwand der Widerstand unter den ehemaligen Sklaven. Sichtlich schmerzte so manchen das Denken, der tägliche Parcours zwischen Gewohnheit und dem Willen derer, die sie als neue Herrschaft begriffen.
„Früher war nicht alles schlecht“, meinten zumindest die Älteren. Doch die Frynx blieben standhaft. „Ihr müsst Verantwortung für euer Leben übernehmen“, predigten sie.
Noch immer galt es, die katastrophalen hygienischen Zustände zu verbessern. Die Menschen sollten lernen, ihre Umwelt zu respektieren und die Felder zurückzubauen – Obstanbau, Bodenschutz, Wasserkonservierung. Statt dessen breitete sich Kriminalität aus.
In den staubigen Straßen eines der größeren Dörfer hielt ein alter Mann einen improvisierten Stab in der Hand und fauchte einem Frynx-Delegierten entgegen: „Ihr habt uns befreit? Und was sollen wir jetzt tun? Wer gibt uns Essen? Wer sagt uns, was wir zu tun haben?“
Ein paar junge Männer duckten sich in den Schatten. Ihre Blicke waren voller Argwohn. „Ihr vernichtet unsere Kultur. Unter den Agrustiern kannte jeder seinen Platz“, knurrte einer von ihnen. „Ich wollte heiraten – sie hat mich weggejagt.“
Eines Tages stand Gouverneur Ly’sandor am Ufer, sah hinaus auf das Wasser, dessen Oberfläche sich im Sonnenlicht kräuselte. „Ich hoffe, das Universum hat eine Einsicht. Ich hoffe, uns bleibt die Zeit, auch uns selbst zu retten.“
Nyassa, in weiche Stoffe gekleidet, lächelte. „Nur keine Panik. Bis dieser Laden läuft, haben alle Patrouillenschiffe Order, weitere Sklavenwelten zu übersehen. Wir geben ihnen damit die Chance, sich ohne die Agrustier selbst neu zu definieren.“
„Um so wichtiger ist dieser Feldversuch.“ Der ehemalige Raumschiffskommandant schien nicht ganz zufrieden.
Nyassa summte verführerisch. „Natürlich. Übrigens hat man mich auf etwas Interessantes hingewiesen: mit einem winzigen Schnitt, der den Männern gar nicht weh tut, lässt sich die Fortpflanzungsrate erheblich senken.“
„Stabile Bevölkerungszahlen.“ sinnierte Ly´sandor. „Damit wäre viel gewonnen.“
„Es wird auch Zeit, sich um die bereits geborenen Kinder zu kümmern, Tagesstätten und Schulen einzurichten. In diesem Alter lernen sie am leichtesten.“
So begann der mühsame, aber unumkehrbare Wandel auf Thal’Zyrr. Am Ufer der heiligen Gewässer standen Frynx und Menschen nebeneinander, beide vor einer Zukunft, die sie nicht geplant hatten.