Auf dem Eifelpfad 2012

Auf dem Eifelpfad 2012 oder

Franz_von_Sales

Schutzpatron der Schriftsteller und Verleger

Die Wallfahrt der Familie Herzog zum Hl. Franz von Sales

Es begann irgendwann im Winter 2011 – als richtige Schnapsidee. Im Frühstücksfernsehen wanderten ein paar Verrückte hoch bepackt durch die Appalachen. Siegfried tischte Brötchen, Wurst und Käse in gewohnter Menge und Qualität auf. Angelika schmökerte in der Sonntagszeitung. Sohn Michael, mittlerweile 33 Jahre reif und eher selten zu Gast, setzte den Kakao ab und meinte seufzend: „Das möchte ich auch einmal machen!“

Seine Mutter ließ die Lektüre sinken und betrachtete ihn verwundert: offensichtlich meinte der Junge das ernst.

„Wir könnten ja mal wieder etwas planen“, bemerkte sie. Einige Jahre zuvor hatte man sich gemeinsam noch einmal Berchtesgaden angesehen und war dort, in Reminiszenzen an Michaels Kinderzeiten versunken, eine Menge herumgelaufen. Als Krönung bestieg die Familie – vermutlich zum letzten Mal – nee, nicht den Underberg – sondern den an Salzburg grenzenden Untersberg. Während die Mutter erschöpft in der Almhütte pausierte, erklommen Senior und Junior noch einmal die Eishöhlen.

Offensichtlich erinnerte sich auch Michael in diesem Moment an das Erlebnis: „Lasst uns von München nach Venedig wandern“, meinte er. „Das soll eine tolle Tour sein.“

Beide Eltern, mittlerweile um die Sechzig, betrachteten ihn entsetzt. „Nicht mehr in diesem Leben!“

Mutter Angelika verwies auf das Presseerzeugnis in ihren Händen. „Hier steht ein Artikel über den Eifelsteig. Wir waren doch so oft in Manderscheid – da hat es uns doch immer gut gefallen!“

Der Sohn runzelte die Stirn. „Bloß nicht so ein Tour-Spaß für Weicheier! Ich will es urig!“

„Wandern ohne Gepäck ist sowieso viel zu teuer“, meinte Angelika. „950 € pro Person! Die spinnen, die Veranstalter. Lasst mich mal machen.“

Der Vater ächzte leise und verzweifelt.

*

Damit begann die Phase der Vorbereitung. Angelika besorgte sich Kartenmaterial. Die Familie trat in das Deutsche Jugendherbergswerk ein: was könnte schließlich uriger sein als übereinander gestapelte Betten? Großküchenfraß?

„Null Problemo!“ meinte die Mutter wohlgemut. „Wir nehmen ein Familienzimmer mit eigenem Bad! Heutzutage sind die alle modern – bei den Preisen müssen sie mit den Privaten konkurrieren!“

Anhand des Herbergsverzeichnisses wurden die an der Strecke gelegenen Hostels ermittelt. Anfang Januar 2012 begann Angelika damit, E-mails zu verschicken… und wunderte sich ganz fürchterlich: fast alle Häuser meldeten sich ausgebucht. Na, ja – immerhin fiel die angepeilte Reisezeit in die beiden letzten Wochen vor Ostern.

„Dann also doch Privatunterkünfte?“ fragte sie kleinlaut. Der Sohn nickte das gnädig ab.

Doch auch solche Lokalitäten waren nicht einfach zu finden. Auf jeden Treffer hagelte es drei bis fünf Absagen: Wanderer? für nur eine Nacht? Kein Interesse! Nach einer Woche intensiver Arbeit schälte sich jedoch so langsam eine Art Tour heraus. Auf der zwar ansprechenden, doch eher kleinformatigen, kostenlos zugesandten Karte sah alles ziemlich gut aus.

„Wenn wir am 25.03.2012 loslaufen“, lautete ein letzter Anruf von Recklinghausen nach Heinsberg, „schaffen wir es unmöglich bis nach Trier. Wozu auch… ich kenne da jeden Stein. Und Monschau… das ist doch grässlich, da waren Siggi und ich eine Woche lang und nie wieder. Willst du unbedingt nach Monschau, Sohn?“

„Was gibt es denn da?“

„Eifelromantik für Bustouristen. So eine Art Senioren-Disneyland. Senf und Printen…“

„Muss nicht sein.“

Das ist gut… wir sparen einen ganzen Tag, wenn wir Monschau links liegen lassen und uns gleich den Rurseen zuwenden. Der Nationalpark hat mich damals wirklich beeindruckt.“

Angelika fuhr fort. „Ich habe die Jugendherberge in Manderscheid bekommen. Erinnerst du dich noch an den Moselberg? Da habe wir immer Schlehen gesammelt.“

„Klar.“

„Die nächste Station wäre Himmerod – total langweilig.“

„Dann lass uns doch die Tour in Manderscheid abbrechen.“

„Aber am Dienstag schon zu Hause?“

„Nöö – da müsste ich ja vor Ostern wieder zur Arbeit.“

„Ich lasse mir etwas einfallen.“

„In Ordnung.“

*

Zwei Rucksäcke nebst zahlreichem Zubehör waren im Haushalt vorhanden. Ein weiterer wurde von Freunden geborgt. Das edle Stück wies enormes Eigengewicht auf und so bekam der Vater es zu tragen. Die Mutter nahm sich den kleinsten und rüstete ihn mit drei angeschnallten Taschen auf. In die größte kam ihr federleichter lila Steppmantel. Der erwies sich später als wirklich nützliches Teil – ebenso geeignet zum abendlichen Ausgehen wie als zusätzliche Bettdecke. Angelika lernte, ihn zu schätzen. Als überflüssig entpuppte sich nur das rosa Handwaschmittel: Shampoo hätte es hier getan… und auch das Duschgel ersetzen können.

Irgendwie zählte plötzlich jedes Gramm. So kam es, dass sie zum ersten Mal seit ihrem siebten Lebensjahr auf Bücher verzichtete. Trotzdem wog Angelikas Rucksack gefüllt 7,5 Kilo. Andererseits bot er wenig Stauraum… Michael bekam schon am zweiten Tag Mutters Schlummerrolle zugeschoben und die Turnschuhe. Der jüngste Herzog hatte sich mit seinem Gepäck wirklich sehr beschränkt und musste, in der Folge, am meisten waschen. Wanderer Siggi besaß als einziger keine Funktionsunterwäsche und kam trotzdem durch. Auch im Übrigen zeigte er sich bald als leidensfähig.

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In den frühen Morgenstunden des 25.03.2012 zog die Familie los zum Hauptbahnhof Recklinghausen. Angelika war froh um ihre „alpinen“ Stöcke… am ersten Tag war es ihr unmöglich, den eigenen Rucksack zu heben oder länger als ein paar Sekunden mit ihm zu stehen. Der auf dem Sofa verbrachte Winter rächte sich. Herausforderung hatte sie jedoch noch niemals gescheut – und das Wetter war herrlich.

Schon am Fahrkartenautomaten traf man den ersten spannenden Menschen. Der bärtige und sympathische Exzentriker erzählte während der gesamten Fahrzeit bis Aachen von den Reisen, die ihn per Auto-Stopp und mit öffentlichen Verkehrsmitteln rund um die Welt geführt hatten. So verging die Zeit rasch.

Ein Bus brachte alle vier bis zum Start des Eifelstieges: Aachen-Korneli­münster. Hier verabschiedete sich der Weltenbummler von der Familie – und fuhr wieder zurück. Dank einiger Passanten wurde der Weganfang gefunden: gleich um die Ecke bei der „Bahnhofsvision“… Die besaß einen prima Biergarten und so begann man die Wanderung mit einer Pause. Die Fahrt war schließlich anstrengend gewesen. Zu allem Unglück hatte sich Siggi im wohlgefüllten Bus recht unglücklich den Fuß an einer Metallstange gestoßen – die jetzt beginnende Schwellung sollte ihn in den nächsten Tagen noch sehr plagen.IMG_6783 k

Über ein, zwei gezapften Weizenbieren wurde es 13°°. Die Sonne schien kräftig vom hochblauen Himmel. So entsagte man der „Bahnhofsvision“ und zog los. Nach der ersten Stunde auf dem „Vennbahn-Radweg“ zeigte sich der Wechsel zum Eifelsteig. Michael wollte ihn einschlagen – schon allein um „vom Asphalt runterzukommen“, doch Angelika war dummerweise dagegen. Zwar sah der Waldweg höchst idyllisch aus – ging jedoch gleich gewaltig zu Tale, hin zum nächsten Dorf. Der Radweg hingegen zog sich, wie es aussah noch für Kilometer, gemächlich durch flache Landschaften.

Eine blöde Entscheidung: die Bäume wurden spärlich, bald latschte man in der grellen Sonne. Es hatte mindestens 25° und die Erschöpfung nahm zu. Schließlich endete der Radweg und die Straße begann – als schiere Berg- und Talbahn. Grässlich… Nach vier Stunden machte Angelika schlapp. Kaum war sie wieder bei Atem, probte sie an der Bushaltestelle den Aufstand.

Ach ja… ein schönes Plätzchen, kurz vor Roetgen. Auf der anderen Straßenseite der Waldweg, der offensichtlich ebenfalls hier vorbei geführt hätte, weit angenehmer. Nicht zu ändern…

„Ab Roetgen müssen wir doch sowieso den Bus nehmen“, meinte die Mutter. „Wir wollen doch heute nach Simmerath. Lasst uns hier einsteigen, ich kann echt nicht mehr.“


IMG_6796Ein Hoch auf den öffentlichen Nachverkehr: der freundliche Fahrer brachte die Wanderer nicht nur zum Zielort, sondern fuhr sie, so mitleidig, wie freiwillig, noch ein gutes Stück den Berg hinauf… den Rurberg, nämlich, auf dessen kühnem Gipfel sich die Jugendherberge erhebt – was natürlich kein Mensch vorher ahnen konnte.

„Ist ja kein Wunder, dass die noch nicht ausgebucht war!“

Mit letzter Kraft – immerhin war dies der erste Tag der Wanderung – kroch Angelika Serpentine um Serpentine bis zum Ziel. Die Männer hielten sich weit besser. Um 18.15 betrat man die Unterkunft. Berner Sennenhund „Choco“ begrüßte die Gäste – die einzigen für den Sonntag, wegen Renovierungsarbeiten. Für morgen war man ausgebucht.

Herbergsvater und Köchin waren freundlich, das Essen reichlich und lecker, auch wenn Nudelauflauf nicht zu Siggis Leibspeisen zählt… In einem gemütlichen kleinen Aufenthaltsraum startete das erste Canasta-Turnier.

Die erste Nacht in den Stockbetten wurde von Schnarchkonzerten umrahmt. Mutter schlief trotzdem selig.

„Morgen suchen wir eine Apotheke“, meinte Michi beim Frühstück. „Ohne Ohrstöpsel stehe ich das nicht durch.“

„Das sagt der Richtige!“

*

IMG_6805Mit Lunchpaketen wohlversehen, zogen die Wanderer den Rurberg hinab. Dank GPS gelang es Michael, die „Bachtäler-Höhenroute“ aufzuspüren. Der Weg war jedoch, bis ins Tal hinab, weder gepflegt noch ausgezeichnet. In der Jugendherberge hatte man noch nie davon gehört gehabt… Als geraume Zeit später Simmerath am Rursee erreicht war, präsentierte es sich als helles, luftiges Örtchen. Das gute Wetter hielt an.

Die diesseitige Staumauer wurde überquert, diverse Erinnerungsfotos geschossen. Schließlich rastete die Familie am Beginn des Eifelpfades durch den Nationalpark. Michael wollte auf schmalen Pfaden den nächsten Hügel hoch, wurde jedoch von den Eltern ausgebremst.

„Hier sind wir richtig“, sprach die Mutter. „16 km bis Gemünd, das ist unsere nächste Station.“

„Boah, hier am Ufer laufen wir uns doch tot!“

„Dafür landen wir auf deiner Höhenroute gottweißwo“, mischte sich der Vater ein. „Ich finde die Orte nicht auf der Karte.“

So trabte man los. Der Weg zog sich, folgte tatsächlich jeder Krümmung des Ufers, war jedoch auch wunderschön. Das Wasser spiegelte den Frühlingshimmel, oftmals sorgten Bäume für Schatten. Gegen 14°°, nicht mehr sonderlich frisch, erreichte man die nächste Staumauer und, hurra, hier gab es Gastronomie. Die Räumlichkeiten entsprachen einem Ausflugslokal, das Küchenniveau lag eher bei Pommesbude.

Nach ausgiebig genossener Mittagsruhe ging es weiter. Die Sonne wurde langsam lästig. Michael trug seinen berühmten Hut. Angelika versuchte vergeblich, aus ihrer Strickjacke eine Kopfbedeckung zu machen. Während der nächsten Rast kramte sie den „Mucosolvan-Schal“ (knallorange Mikrofaser) aus dem Rucksack und funktionierte ihn zum „Bandana“ um. In dieser Funktion bewährte sich das Teil für den Rest der Reise. Die eingesteckte Klapp-Sonnenbrille erwies sich als nutzlos. Mangels eingeschliffener Gläser verschwamm die Landschaft – und dafür war sie nun mal viel zu spektakulär.

Sehr viel später gabelte sich der Weg an einer Brückenkonstruktion aus Edelstahl. Da der Nachmittag schon fortgeschritten war, verzichtete man auf den Abstecher zur Burg Vogelsang. Stattdessen durchquerte die Familie das Naturschutzgebiet, bis sie in den Ausläufern der Stadt Gemünd stand. Michael ermittelte den Weg zur Pension: noch drei Kilometer. Doch da es jetzt wieder ein paar Steigungen zu überwinden galt, kam allen der Weg recht sauer an.

IMG_6817 kEndlich betrat man jubelnd die Ferienwohnung im Haus der Familie Greuel. Hier fehlte es an nichts. Selbst Handtücher, in Jugendherbergen ein knappes Gut, waren reichlich vorhanden. Michael und Angelika machten sich frisch und gingen einkaufen. Siegfried hatte leider von der Tour des zweiten Tages (30 km kamen locker zusammen) blutige Füße davongetragen und wurde schon einmal im Speiselokal abgesetzt. Später aß man gut und üppig. Angelika genoss Schweine-Medaillons an Obst, mit Currysoße und Reis. Alle schliefen ausgezeichnet, denn Junior hatte ein eigenes Zimmer.

*

IMG_7392 copy kFrühstück gab es bei Greuels keins. Das nahm man keine fünf Meter vom gestrigen Esslokal ein, in einer ebenso gemütlichen wie traditionsreichen Bäckerei: belegte Brötchen und leckere, ofenfrische Plunderstücke. Dabei beratschlagte die Familie die Lage: Siegfrieds Füße waren in verheerendem Zustand und benötigten dringend Schonung.

„Ihr schickt mich vor? Kommt gar nicht in Frage. Wir bleiben zusammen“, beharrte er. „Ich gebe jetzt doch nicht auf.“

Hellenthal-Reifferscheid war die nächste Station der Wanderung. Zugunsten von Siggis Füßen verzichtete man auf den Eifelsteig und stieg in den Bus. Der wurde an einer Station der Rur-Olef-Route wieder verlassen. Die folgenden 10 km gingen über liebliche Höhen, durch Wälder und Neubaugebiete. Reifferscheid wurde zügig erreicht und entpuppte sich als wirklich attraktiv. Dank der Burgsilhouette hatte das Gässchen etwas Mittelalterliches. Auch das Wetter war wieder einmal prächtig.

IMG_6839Im Gästehaus „Im Tal 18“, unweit des Lokals „Zum Wappen“ wurden die Wanderer freundlich empfangen. Die Ferienwohnung unterm Dach erwies sich als gepflegt und modern eingerichtet. Die Familie entledigte sich des Gepäcks. Nach einer Erfrischung kraxelten sie den Burgberg zur Ruine Reifferscheid hoch, einem äußerst sehenswertem Bauwerk. Kostenloser Eintritt, doch leider war das Burgcafé geschlossen. Tatsächlich gab es im ganzen Ort keinen Kuchen für Angelika…

Anstatt sich in der leicht beengten Ferienwohnung aufzuhalten, schnupperten die Wanderer Lokalkolorit im „Gasthaus zum Wappen“. Man belauschte eine ältere Dame, die von Oberammergau schwärmte, ihren „festen Glauben“ pries und „in ihrem Leben schon genug Wasser gesoffen“ hatte. Um 17.30 wurde üppig gespeist (Angelika genoss Forelle Müllerin). Auf die Mahlzeit folgte ein Canasta-Turnier… untermalt von den Gesprächen der Einheimischen („Ich bin hier der einzige echte Ausländer“ „Ihr Christen lasst uns Serben ja seit 1000 Jahren in Stich!“ „Warst du dabei, he? Warst du dabei?“)

Später erwies sich Michaels Bett im Dreier-Zimmer als ein wenig kurz. Und in der Apotheke waren wir immer noch nicht gewesen… hier gab es nämlich keine. Dafür wurde der Burgberg zur Nacht (in dieser fror es draußen!) illuminiert.

*

Morgens bereitete uns Frau Bungard im Schauraum ihrer Schreiner­firma­/­Bestattungs­institut ein Frühstücksbuffet nach allen Regeln der Kunst. Obwohl wir uns auf ihren Wunsch auch Proviant zusammenstellten, blieb immer noch mehr als genug übrig. Nebenbei beriet uns die Hausherrin über die geplante Tagestour und kopierte sogar die eigene Wanderkarte. So entschieden wir uns gerne für den „Willibrordweg“ nach Baasem, unserem nächsten Ziel, zumal er unweit der Pension begann. Denn irgendwo waren wir schließlich auch Pilger… äußerst beladene, sogar.

Leider verirrten wir uns drei Stunden später in einer Hügellandschaft. Michaels GPS führte uns weitere Stunden lang mitten durch den Wald, über sumpfige Wiesen und längst aufgegebene Pfade… bis wir, kurz vor der Verzweiflung, den markierten Pfad wiederfanden. Zurück in der Zivilisation, wurden auf einer blumenumkränzten Bank Siegfrieds Füße begutachtet. Diese sahen schrecklich aus… doch noch immer weigerte sich der Familienvater, aufzugeben. Pflaster wurden geklebt, die Socken gewechselt, dann ging er in Sandalen weiter.

IMG_6877 kGegen 16.30 Uhr erreichten wir die Pilgerherberge St. Ludger des Kath. Ferienwerkes. Die teuerste Unterkunft der ganzen Tour lag auf einer Anhöhe über sanfter, bäuerlicher Landschaft als flacher Betonbau aus den Siebzigern, sehr gepflegt. Die Tür stand offen, Kinder tobten – doch die Rezeption erwies sich als verwaist. Zehnmal, sicherlich, probierten wir die ausgehängten Notfallnummern, ohne Resultat. Zunächst ärgerte uns das gewaltig – wir waren müde, verschwitzt und hätten vor dem Abendessen gerne geduscht. Dann jedoch zogen wir uns Getränke aus dem Automaten und ließen uns zum Canasta-Turnier nieder.

Um 17.30 Uhr trafen die Bevollmächtigten ein – und entschuldigten sich dafür, dass sie unsere Reservierung vergessen hatten. Zum Glück war die Übernachtung vorher bezahlt worden. Angelika hatte die Quittung dabei, aus der hervorging, dass der Fehler nicht bei ihr lag… Gleichwohl, die Zimmer waren frei, groß, doch sehr schlicht und vor allen Dingen unbeheizt. Mutter ließ sich eine Decke geben und konnte diese in der Nacht auch gut brauchen. Michael hatte sein eigenes Zimmer (und immer noch keine Ohrstöpsel). Zum Abendbrot gab es Pommes, Schnitzel und Salat – wirklich köstlich. Zusammen mit der Hauswirtschafterin, erledigte Angelika die Wäsche für die ganze Familie. Danach wurde weiter Karten gespielt.

*

Am nächsten Morgen, dem 29.03.12, frühstückte die Familie in ihrer Pilgernische im Speisesaal, umgeben von mehreren Schulklassen: rührend süße Kiddies unter zwölf, die dazu noch gut beaufsichtigt wurden. Wieder einmal fehlte es an nichts.

IMG_6886IMG_6888Hinter Baasem führt der Willibrordweg über Prüm nach Trier – wo wir ja nicht hin wollten. Den Eifelsteig konnten wir erst bei Ripsdorf wiederfinden. Also stiegen wir in den Ort hinunter und erlebten dort eine unangenehme Überraschung: hier verkehrte nur ein Taxi-Bus, dazu noch äußerst eingeschränkt. Bis die freundliche Fahrerin eintraf, war die erste Stunde verplempert. Die zweite Stunde verging an einem Regionalbahnhof, der uns immerhin – es war bereits Mittagszeit – nach Blankenheim brachte, eine Tagestour weiter. Bleiben konnte man hier nicht: bei der Planung hatte sich keine Unterkunft finden können. Spontan beschloss man trotzdem, das altertümliche Städtchen zu besichtigen. Michael suchte ja immer noch nach einer Apotheke.

Diese fanden die Wanderer zwar nicht – aus unerfindlichen Gründen zeigte sich unter der angegebenen Adresse ein Schönheitssalon – versorgten sich jedoch in einer Bäckerei mit Printen (Kandis und Haselnüsse). Das weckte den Appetit und so nahm man auf dem Rückweg zum Busbahnhof die Lokale in Augenschein. Fast hätte man sich für den Griechen entschieden… dann jedoch wusste der gutbürgerliche „Kölner Hof“ mehr zu überzeugen. Innen lichtdurchflutete 80er, auf Hochglanz poliert. Alles sehr gemütlich, die Mahlzeit (Mutter hatte Cordon Bleu, wieder mit Reis) wohlschmeckend.

IMG_6892Eine weitere Stunde später als geplant saß die Familie im Bus nach Uelzenhofen. Zum Glück mit nicht mehr als vier weiteren Passagieren, denn Siggi bemerkte plötzlich den Verlust seiner Wanderschuhe. Seit dem Naturschutzgebiet hatte er diese regelmäßig mit den Sandalen gewechselt und zu diesem Zweck in einem Leinenbeutel mit sich geführt.

„Hast du sie im Lokal vergessen?“

„Kann ich mir nicht vorstellen… vermutlich auf der Bank am Bahnhof.“

Siggi ging nach vorne zum Fahrer und dieser begann, zu telefonieren. Der Bus hatte Blankenheim längst hinter sich gelassen, eilte über die Landstraße. Schnell stellte sich heraus, dass wir in dieser dünn besiedelten Landschaft im einzigen Fahrzeug saßen, das uns auch nur in erreichbare Nähe zu unserem Tagesziel bringen konnte.

Da geschah ein kleines Wunder: der Fahrer sprach mit den übrigen Gästen und niemand hatte etwas dagegen, später nach Hause zu kommen. Und so wendete er den Bus und fuhr zum Bahnhof zurück, wo Siggis Wanderschuhe immer noch standen. Die Familie konnte ihr Glück nicht fassen.

In Uelzenhofen zeigte sich die Landschaft weit, offen und hügelig. Trotz Sonne war ein unangenehmer Wind aufgekommen. Die Wanderer schulterten ihre Rucksäcke und machte sich auf zur nächsten Station: Üxheim

Nach ca. 10 km über die Landstraße war der Ort erreicht – doch die angegebene Adresse längst noch nicht. Seitlich von Hillesheim, wo man ebenfalls keine Unterkunft gefunden hatte, begann so eine Krimiwanderung ganz eigener Art.

Nach und nach, tapfer jede Steigung überwindend, kesselte die Familie das Gästehaus „Hammermühle“ großräumig ein…

„Ist doch klar“, meinte ein Passant. „Sie müssen in den Stadtteil Hammermühle… Da geht´s runter, am Zementwerk vorbei, immer links halten, über die Schlucht…“

Was für ein Glück, dass wir uns in Blankenheim gestärkt hatten: erst am späten Nachmittag, wir fürchteten schon fast, in die Dunkelheit zu geraten, fand sich endlich das Hinweisschild: Familie Theis, noch 1,5 km, am Klärwerk vorbei…

Wir rasteten ein letztes Mal, bogen dann von der Straße ab. Der letzte Kilometer war wirklich eine Erholung. Nach dem ganzen Pflastertreten genossen wir den schmalen, nur notdürftig befestigten Fahrweg. Rechter Hand ging es hoch in den Wald, linker Hand fiel er zu einem munteren Bächlein hin ab. Gerade, als das Tageslicht nachließ, erreichten wir den Hof, einsam und idyllisch in seinem eigenen Tal gelegen.

IMG_6901Herr Theis begrüßte uns und führte uns in eine sicher 100 qm große Ferienwohnung, wo alle rasch wieder zu Kräften kamen. Bis zur Schlafenszeit mussten wir allerdings einigen Baulärm hinnehmen, da die Nebenwohnung gerade renoviert wurde.

*

Morgens bereitete uns der Hausherr liebevoll Frühstück und sagte: „Ach, von Uelzenhoven – da hätten Sie doch einfach nur durch den Wald zu gehen brauchen, anstatt ganz Üxdorf zu umkreisen.“

Wir lachten ein bisschen gequält – was nutzte uns die Erkenntnis? Dieser Weg stand auf keiner Karte und war auch dem GPS unbekannt gewesen.

Ersatzweise ließen wir uns den Fußweg zum Städtchen Nohn erklären… Hier sollten wir Anschluss nach Kelberg finden, der nächsten Station der Reise. Also quälten wir uns, pappsatt vom Frühstück, aus dem theisschen Talkessel hoch nach Nohn. Das Wetter hatte sich eingetrübt, es war windig, der Himmel grau. Ein Bus ging von hier aus erst in zwei Stunden… In einer Tankstelle zog man Erkundigungen ein.

„Fußweg?“ meinte die ältere Dame kopfschüttelnd. „Sehen Sie doch vor sich… unsere schöne Straße, die geht dann später auch durch den Wald.“

„Echt jetzt?“ Die Familie zeigte sich wenig begeistert.

„Nicht bei diesem Sauwetter“, schimpfte Angelika. „Wir rufen uns jetzt einfach ´ne Taxe… fahren nach Kellenberg und werden dort unser Gepäck los. Dort gibt es nämlich Wanderwege, auf denen man sich keinen Senkfuß holt!“

Gesagt, getan: der örtliche Unternehmer kam, sah und packte Fahrgäste und Gepäck in ein mit Baumaterialien bereits wohl befülltes Auto. Der Mann war gerade dabei, seine eigene Ferienwohnung umzubauen. Während der Fahrt sprach er ununterbrochen. Meist darüber, wie er die Finger an seinen beiden Händen fast eingebüßt hatte: Vorsicht, Kettensäge.

„Ja, die haben mir die oberen Glieder rechts wieder angenäht, aber ich habe kein Gefühl darin. Und dann bin ich letztes Jahr noch mit der linken Hand hineingerutscht… Sie sollten mich mal tippen sehen.“

Die Straße erwies sich als lang und einsam und ging auf 30 km durch schütteren Wald, unterbrochen nur von einem Geisterdorf.

„Stellt euch mal vor, wir wären hier entlang gelatscht.“

„Ohne Ende, lieber nicht…“

„Das wäre ja eine Super-Tour geworden – wie gestern, nur ohne Essen.“

IMG_6905Das Wetter verschlechterte sich weiter. Im kurmäßig lieblichen Ort Kelberg angekommen, begrüßte uns Frau Scheid. Ihre Ferienwohnung wies Schrägen auf und zeigte sich gänzlich mit Holz verkleidet, doch fühlten wir uns hier wohl genug, den ganzen Abend lang Karten zu spielen. Michaels Bett stand im Wohnzimmer.

Noch war es aber erst Mittagszeit. Wir räumten das Gepäck ein und machten uns auf, der für diesen Ort ausgewiesenen „Geschichtsroute Nr. 2“ zu folgen. Ein, zwei Stunden lang ging alles gut, dann frischte der Wind weiter auf, es begann zu regnen. Die Wanderer brachen ab und strebten in den Ort zurück. Getränke für den Abend wurden eingekauft, Michael fand endlich eine Apotheke. Anschließend krönte man das Ganze mit ausgezeichnetem italienischen Essen. Angelika wählte dreierlei überbackene Nudeln.

Für den Rest des Tages pflegte Siegfried seine Füße. Mittlerweile wiesen diese mehr Pflaster als Zehen auf.

„Bist du sicher, dass du sie nicht in eine Kreissäge gehalten hast, Liebling?“

*

Am nächsten Morgen erhielten die Wanderer das mit Abstand beste Frühstück der Tour. Der Esszimmertisch der Ferienwohnung bog sich regelrecht. Wieder durfte für den Lunch eingepackt werden, was das Herz begehrte.

Durch den eher ruhig verbrachten Tag gekräftigt, beschlossen die Wanderer, auf den Eifelsteig zurückzukehren.

„Schluss mit den Nebenstrecken. Heute wollen wir es wissen!“

Noch einmal wurde der Taxiunternehmer (derselbe) bemüht, um die Familie zum Startplatz in der Nähe von Hillesheim zu bringen. Von hier aus ging es auf nach Gerolstein, wo für den Abend die Jugendherberge gebucht war. Laut Karte 20 km mit einem Höhenunterschied von insgesamt 900 m, wobei man sich erst einmal nichts dachte. Der Himmel war zwar noch grau, doch das Wetter hatte sich gebessert. Alle waren guter Dinge.

IMG_6912IMG_6916Im Wald traf man auf eine zehnköpfige Gruppe Wanderer „fast ohne Gepäck“.

Mensch, die verschandeln ja die Aussicht“, meinte Michael. So wurden die Weicheier abgehängt, tauchten jedoch von Zeit zu Zeit wieder auf. Mittlerweile war man fit. Selbst Angelika hatte gelernt, ihren Rucksack schwungvoll zu handhaben.

Hier zeigte sich der Eifelsteig urig, mit moosbepackten Bäume, schmalen Pfaden, Höhlen, allem, was dazugehört. Die Kennzeichnungen waren eindeutig. Kam man aufs weite Feld hinaus, pfiff der Wind allerdings gehörig. Recht schwungvoll noch, wurde die Anhöhe „Rother Kopf“ bezwungen. Leider lag die Rundsicht bei Null. Auch auf Biergärten musste verzichtet werden… bis kurz vor Gerolstein.

Jetzt sind wir schon wieder oben“, meinte Angelika. „Hier muss doch irgendwo die Eifelsteig-Jugendherberge sein… dem Namen nach zu urteilen.“

Michael warf sein GPS an. „Hm“, meinte er schließlich. „Ich fürchte, die liegt auf einem anderen Berg.“

Skandal!“

Also ging es runter – und, in einem Naherholungsgebiet äußerst steil wieder nach oben, dazu noch auf einer Asphaltstraße. Hier fanden wir endlich „The Ratsidence at the lake – come in peace, or leave in pieces!“

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The Rats MC (Motorradclub), Abteilung Eifel, war gerade dabei, das Clublokal zu eröffnen. Geschirrspüler und Kaffeekocher in martialisch-schwarzem Leder versorgten uns mit frisch gezapftem Weizenbier. Kurze Zeit später traf auch die rivalisierende Wanderergang ein. Da es innen zu eng war, scharrten sie sich draußen um das offene Feuer, grins. Die Wanderführerin stärkte sich allerdings drinnen. Offensichtlich war sie in Rattenkreisen wohlbekannt.

Na, haste deine Leute auf die Gerolsteiner Dolomiten vorbereitet?“ fragte der Barbar hinter dem Tresen.

Logisch“, meinte die Angesprochene. „Haken, Geschirr und Kletterseile – alles hier im Rucksack.“

Uns wurde bänglich zumute – rasch orderten wir ein zweites Bier. Da sich das Wetter vor dem Fenster zunehmend eintrübte, verabschiedeten wir uns danach und brachen wieder auf – tatsächlich in himmelhohe Schluchten.

Sag nicht, es geht hier noch höher – dagegen war Simmerath ja harmlos!“ ächzte die Mutter bald.

Nachdem die asphaltierten Gipfel bezwungen waren, gelangte man in einer langgestreckten Kurve zur Jugendherberge, die vom namensgebenden Eifelsteig eine, wenn nicht zwei bei äußerster Mühsal geschätzte Stunden entfernt liegt. Mittlerweile war fast der Abend angebrochen – doch nun klarte es auf und die Fernsicht wurde spektakulär.

Innen wurde bald das Abendbrot (Halbpension) serviert. Alles sah optisch sehr gut aus, erwies sich aber leider als kaum gewürzt. Siegfried sättigte sich am Hühnerfrikassee (bäh, Nährschlamm) und kostete dann unfreiwillig von der Soja-Currywurst. Zwischendurch erklang Blasmusik von einer anwesenden Gruppe, die hörbar noch viel üben musste.

Danach wurde – welche Überraschung – Canasta gespielt.

In diesem Haus fand die Familie das kleinste Zimmer vor. Zwar gab es hier vier Betten, doch konnten sich lediglich zwei Leute davor bewegen.IMG_6937k

*

Am nächsten Morgen hielten Siegfried, Angelika und Michael Kriegsrat. Die „Gerolsteiner Dolomiten“ waren allen mächtig in die Glieder gefahren.

Die Mutter verwies auf die Wanderkarte: „Munterley. Dietzenley. Nerother Kopf… Von Gerolstein bis Daun sind es 25 km… dabei sind fast 1500 m Höhenunterschied zu überwinden, also noch ein Drittel mehr wie gestern. Jede Wette, der Abstieg bis zur Stadtgrenze wurde nicht mal eingerechnet. Und nur Gott weiß, wo sich in Daun die Jugendherberge versteckt hält. Heute ist Palmsonntag, Leute – und wisst ihr was, ich streike.“

Dem schlossen sich die Übrigen gerne an. Das Frühstück war, nebenbei bemerkt, völlig in Ordnung. Man beendete es, beglich die Rechnung und brach talwärts auf. Der lange, gewundene Abstieg auf Asphalt ging schmerzhaft in die Kniegelenke. Parallel zum Park, überquerte die Familie eine Brücke und gelangte zum Busbahnhof. Hier hieß es auf die Fahrgelegenheit zu warten. Noch vor dem Mittag gelangte die Familie nach Daun – und genoss die abwechslungsreich vor dem Busfenster dahin streichende Landschaft außerordentlich.

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Michael Herzog alias Jott Fuchs

IMG_6942kAuch wenn bisherige Temperaturen nicht mehr erreicht wurden, strahlte die Sonne wieder aus blauem Himmel. Hoch bepackt durchquerte man das Eifelstädtchen und fand die Jugendherberge, wie schon gewohnt, am gegenüberliegenden Ende. Diesmal erwies sich der Aufstieg zwar ebenfalls als steil, doch auch äußerst kurz. Zweimal keuchen – schon waren sie da. Mit dem Zimmer gab es allerdings ein kleines Problem – noch nicht fertig.

„Kein Problem“, entschied die Mutter. „Wir bestellen das Abendbrot ab… kuck dir mal diese Bratensoße an, die muss ich nicht haben. Heute ist Feiertag, da gönnen wir uns mal was.“

Gesagt, getan. Die freundliche Dame hinter dem Tresen war gerne bereit, auf die Rucksäcke aufzupassen. „Ich weiß gar nicht, ob ich schon einmal jemanden mit soviel Gepäck gesehen habe“, meinte sie – hoffentlich bewundernd.

„Weil die Leute alle schummeln“, entgegnete Angelika. „Kleine Tasche, große Klappe.“ Mittlerweile wusste sie ja, dass man keinesfalls Überflüssiges mit sich trug – von zuviel Duschgel mal abgesehen.

Damit war alles gesagt und die Familie brach auf. In Daun war Straßenfest – doch mit einer Wurst auf der Faust sollte es heute nicht getan sein.

Wieder in der Innenstadt angekommen, betrat man das gediegene Restaurant „Dubrovnik“ – und erinnerte sich kichernd des Ewigen Serben aus Reifferscheid. Angelika genoss Zigeunerspieß, Michael die Räuberfleisch-Platte.

Gegen Abend durchquerten Mutter und Sohn das Städchen Daun ein weiteres Mal, diesmal für den Kinobesuch fein gemacht. Angelika begann zu ahnen, dass sie durch die Wandertour nichts abgenommen hatte, die neu erworbene Bauchmuskulatur kniff in den Rand der Jeans – oder lag das doch am Weizenbier?

Heute Abend galt es, die Verfilmung der „Tribute von Panem“ zu beurteilen. Leider fiel der Film bei den beiden Kritikern durch – schön bunt, doch seicht und sehr vorhersehbar.

In der hiesigen Herberge hatte das Familienzimmer eine angenehme Größe.

*

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Beginn des Lieserpfads über Daun

Beim Frühstück – vom gleichen Standard wie in Gerolstein und später auch Manderscheid, beschloss man, die Scharte von Vortag auszumerzen. Der faule Lenz lag den Wanderern auf dem Gewissen – so ein klitzekleines Bisschen.

„Heute kommt sowieso das Highlight“, meinte der Vater. „Der Lieserpfad ist wunderschön… wir sind ihn ja schon früher immer mal so ein Stück weit gegangen.“

„Bis Daun haben wir es aber nie geschafft – das ist ja eine Tagestour und wir mussten zur Pension zurück“, ergänzte Angelika.

In der Jugendherberge Daun kannte man sich mit den umliegenden Pfaden aus und wies der Familie den goldrichtigen Weg. Hinter dem Haus ging es hoch zu Dronketurm und Weinfeldener Maar. Diesmal wurde das Ausflugslokal links liegen gelassen.

Schaut mal, hier könnten wir auch dem Eifelsteig folgen“, gab Michael zu bedenken. „An allen Maaren vorbei.“

„Kennst du eines, kennst du alle“, meinte die Mutter prosaisch.

„Junge, vertu dich nicht“, sagte der Vater. „Manderscheid liegt oben – und die Jugendherberge noch einen Moselberg höher als die Burgen – am gegenüberliegenden Stadtrand.“

Die Eltern kannten den Ort in- und auswendig – und bewiesen sich damit selbst, dass Wissen auch traurig machen kann. So setzte die Zweidrittel-Mehrheit den kürzeren Lieserpfad durch. Bis zum späten Mittag schlängelte sich dieser äußerst angenehm über Naturwege und mäßige Steigungen. Das Flüsschen Lieser begleitete ihn mal als Rinnsal, später als Bach, verbreitete sich nach und nach.

IMG_6953IMG_6954Um diese Tageszeit erreichte die Familie bei herrlichstem Frühlingswetter den mitten auf dem Weg liegenden Biergarten „Zur Mühle“, ein typisch bäuerlicher Nebenerwerbs-Betrieb. Um den wachhabenden Berner Sennenhund nicht zu enttäuschen, nahm man auf ein Weizenbier Platz. Zwei säuerlich blickende Wanderer (von der Sorte „kaum Gepäck“) huschten vorbei. Bevor die Anstiege wirklich begannen, sollten wir sie von Zeit zu Zeit wiedersehen. Vermutlich hielten sie irgendwo einen Fluchtwagen versteckt.

Keine halbe Stunde nach der Pause fanden Siegfried und Angelika die ersten bekannten Wegmarken: hier eine bestimmte sumpfige Wiese, dort eine unverwechselbar wacklige Holzbrücke. Später erkannte man im Wald die „Abkürzung“ nach Haus Sonne – die nur zu den endlosen Feldern vor Manderscheid führt.

IMG_6946Der Weg wurde nun anstrengend, blieb jedoch auch wunderschön. Die Wanderer rätselten, wo sie herauskommen würden: unter den Burgen, über den Burgen oder gar an der Heidsmühle? Obwohl der „Wildpferdepfad“ viel Bekanntes aufwies, konnten sich Siegfried und Angelika nicht einig werden. Nach sieben Stunden Gehzeit mit insgesamt 1.200 m Höhenunterschied erreichte die Familie auf schmalen, gewundenen Pfaden mit spektakulärer Aussicht – den Kurpark Manderscheid. Damit erwies sich die Schätzung „ÜDB“ als korrekt.

Da es schon auf 17.30 ging, war an Abbestellung der Halbpension nicht mehr zu denken. Bislang nur von Lunchpaket, Mineralwasser und den angelegentlichen Weizenbier gestärkt, haute man rein. Leider… die Frikadellen (mit oder ohne Fleisch? man hätte sie analysieren lassen sollen) lagen noch 48 Stunden lang schwer im Magen. Dies blieb jedoch der einzige Schwachpunkt.

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Manderscheid/Eifel über den Burgen 2012

Manderscheid/Eifel über den Burgen 2012

Auf geruhsamen Schlaf (mit Ohrstöpseln) folgte das nächste Frühstück. Draußen lockte bereits die Sonne.

„Wisst ihr was“, meinte Sohn Michael. „War zwar super gestern, doch mir langt es. Das Tal der wilden Endert kann mir mal den Buckel ´runter rutschen.“

„Wenn wir abends in Cochem sein wollen, wird es sowieso knapp. Wir schlafen in Senheim – das liegt sicherlich wieder außerhalb.“ sagte der Vater.

„Richtig – und Weinberge, Leute – die können ziemlich tückisch sein.“ Das war das Statement der Mutter. Damit war es beschlossen: öffentlicher Nahverkehr.

Wie sich bis zum späten Nachmittag – so lange dauerte der Transfer – herausstellte, lag Senheim tatsächlich mehr als eine halbe Busstunde von Cochem entfernt. Von der letzten Haltestelle in Senhals aus überquerte man die Mosel hoch bepackt, müde, aber froh. Der Ort, an dem wir uns von den Strapazen des Eifelsteigs erholen wollten, sah wirklich winzig aus. Sichtlich besaß er eine Kirche – und wie sich später zum Glück herausstelle, leistungsfähige Gastronomie.

Die von uns gebuchte Super-Winzer-Suite lag nur einen halben Weinberg hoch, wofür jeder der Wanderer dankbar war. Im Vorgarten warteten wir, bis Frau Vornhecke (in Essen geboren) aus demselben herabeilte, um uns einzulassen.

Die Wohnung enttäuschte nicht: sehr hell, sehr modern. Gediegener Schieferbelag und Fußbodenheizung. Michael bekam nicht nur ein eigenes Zimmer mit Doppelbett, sondern auch ein eigenes Bad. Zur Begrüßung brachte die Hausherrin Milch, Mineralwasser und eine Flasche leckeren Wein aus eigener Produktion, alles im Gesamtpreis von 70 €/pro Tag enthalten. In der Pilgerherberge hatten wir das Doppelte bezahlt.

Frau Vornhecke bewies gutes Gespür dafür, wann Kommunikation angebracht ist. Wir fanden sie ausgesprochen nett. Wie von ihr empfohlen, speisten wir an diesem Tag im „Schinkenkeller“ – ausgesprochen fürstlich. Auf dem Hinweg bestellten wir in der nahen Bäckerei das Frühstück für den nächsten Tag, welches sich ebenfalls als ausgezeichnet erwies. Der Tag endete mit einem spektakulären Sonnenuntergang.

Senheim/Mosel 2012

Senheim/Mosel 2012

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Cochem 2012

Nachdem wir in der Bäckerei getafelt hatten – anders kann man es nicht nennen – brachen wir auf, um Cochem zu besichtigen. Im Gegensatz zu gestern hatte sich der Himmel eingetrübt, nur selten brach ein Sonnenstrahl durch. Schade – die Reichsburg hätte vor blauem Himmel umwerfend gewirkt.

Begeistert besichtigte die Familie das „kleine Sommerhaus“ von Louis Fréderic Jacques Ravené (1823–1879). Der Bauherr selbst konnte es nur zwei Jahre genießen, doch der kreative Akt des Wiederaufbaus hatte ihm sicherlich auch eine Menge Spaß gebracht, das sah man dem Gemäuer an. Inwieweit es allerdings als Schauplatz für Teil IV der Elektron-Saga taugt, wissen Michael und Angelika immer noch nicht.IMG_7010

Reichsburg über Cochem, Kulisse für Teil IV der Elektron-Saga "Landnahme" - dort fest in schottischer Hand

Reichsburg über Cochem, Kulisse für Teil IV der Elektron-Saga „Landnahme“ – dort fest in schottischer Hand (Anm. 2015)

„Irgendwie fehlt hier ein ordentliches Schlachtfeld.“

Nun, lassen wir uns überraschen.

Das Gelände ist übrigens äußerst steil und fast so schlecht zu erreichen wie die Jugendherberge in Gerolstein. Der Shuttlebus verkehrte nicht vor Ostern.

Hier in Cochem bekam Siggi endlich seine Leinentaschen – für 2 € pro Stück ein Schnäppchen.

Um die Mittagszeit wurde Angelika überstimmt und aß grollend ihr lieblos zubereitetes Touristenmahl (bis auf die angebrannten Bratkartoffeln). In Senheim hätte es abends bestimmt etwas ungleich Besseres gegeben. Doch den übrigen Zwei schien es zu schmecken.

Stattdessen gab es in der Winzersuite Brötchen, Bockwurst und ein Canastaturnier.

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Am folgenden Morgen strahlte die Sonne wieder. Die Familie brach hastig auf und erwischte den 711 gerade noch rechtzeitig. Danach hatte man 2 Stunden Zeit, nicht in der Bahnhofsvision, sondern auf „Platform 9“ zu frühstücken. Im Deutschen wird das eigentlich mit zwei „T“ geschrieben… offensichtlich war das Lokal nicht nur dunkel und gemütlich, sondern international.IMG_7056

Um die Mittagszeit marschierte man hoch bepackt vom Bahnhof nach Hause zurück. Und wie immer: kein Schwein hat gekuckt.

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